Irgendwer

Einer ist da, der mich denkt.
Der mich atmet. Der mich lenkt.
Der mich schafft und meine Welt.
Der mich trägt und der mich hält.
Wer ist dieser Irgendwer?
Ist er Ich? Und bin ich Er?
Mascha Kaleko

Mascha Kaleko gehört zu meinen Lieblingsdichterinnen. Ihre zum Teil kurzen Verse haben eine Tiefe, die an Klarheit oft einen Laotse übertreffen. Was empfinden Sie bei den Worten des obigen Textes? Beschleicht Sie heimliches Unbehagen, wenn sich da ein leises Gefühl einstellt, dass Sie gelebt werden? Dass da eine Kraft am Wirken ist, die Sie denkt und lenkt und Ihnen nur die Illusion lässt, Sie würden Ihre Entscheidungen aus eigenem Willen treffen? Mascha Kaleko formuliert Gegenfragen, in denen bei allem scheinbaren Zweifel die Antwort unmissverständlich enthalten ist, obgleich sie nicht ausgesprochen wird. Halten Sie ein wenig ein, ehe Sie weiterlesen: Klingt in Ihnen eine Antwort auf die Fragen an? Ob jemand Sie lebt, und ob dieser Jemand Sie selber sind und gleichzeitig der fremde Jemand bleibt? Was fühlen Sie bei Gedanken dieser Art? Eigentlich müsste ich an dieser Stelle Schluss machen mit diesem Beitrag. Weil ich Ihnen nämlich mit deutlicher formulierten Erklärungen keinen Gefallen tue. Mascha Kalekos tiefes Denken hat begriffen, dass sie sowohl ihr individuelles Leben lebt, dass dieses aber synchron mit einer unendlichen Dimension ihrer Identität verwachsen ist – mit diesem namenlosen Irgendwer. Es wäre doch ein schönes Sonntagserlebnis, wenn Sie ebenso wie die Dichtern spüren würden, dass Ihr Ich und dieser Er schon immer das Gleiche waren. Und dass Sie etwas von dieser gewaltigen Dimension Ihres alltäglichen Seins in stillen Stunden zu spüren beginnen und jene Energie daraus schöpfen, die Sie aus Ihren Sorgen und Nöten heraus trägt.

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8 Antworten zu Irgendwer

  1. Matthias sagt:

    Beim ersten Lesen des Gedichts gab es zwei Steine des Anstoßes, die in mir einen leichten Widerstand hervorriefen:
    – die Wahl der männlichen Form (einer, der, er), die gleich die Assoziation der allmächtigen Gottvaterfigur mit Rauschebart in mir hervor rief
    – der Aspekt der vollständigen Kontrolle (der mich atmet, der mich lenkt) durch einen anderen

    Also, einmal tief durchgeatmet, einen Schritt zurückgetreten, und die Steine aus dem Weg geräumt.
    Mir fiel ein, dass ein guter Lenker (eines Autos, eines Schiffes, eines Flugzeuges) nicht ständig aktiv am Lenkrad, Ruder oder Steuerknüppel rührt, sondern nur, wenn es wirklich notwendig ist. Ein Fahranfänger beispielsweise neigt dazu, das Lenkrad nicht nur beim Einleiten der Kurve aktiv zu drehen, sondern auch beim Ausleiten aus der Kurve. Dabei ist das nicht immer notwendig. Ein erfahrener Lenker lässt – wenn möglich – die Räder und damit das Lenkrad von selbst in die Ausgangsstellung zurück kehren. Ähnliches gilt z.B. für die Erziehung (s. Theodor Litt: „Führen oder wachsen lassen“).

    Damit bekamen auch die anderen Aussagen eine andere, vom Kontrollaspekt losgelöste Bedeutung. Es geht also nicht um die Scheinalternative „leben (=freier Wille) – gelebt werden (Determiniertheit)“.

    Das zu sehen fiel mir noch leichter, als ich die männlichen Ausdrücke durch sächliche ersetzte, im Sinne einer Kraft, die nicht näher bezeichnet werden kann:

    Eines ist da, das mich denkt.
    Das mich atmet. Das mich lenkt.

    Es atmet mich: ich bin es, und es ist ich.
    So gesehen kann ich das Original jetzt ganz anders wertschätzen.

    Herzliche Grüße,
    Matthias

  2. ,,ich kann es nur ganz einfach bestätigen.Mein Gefühl von einer ,es gibt eine
    überdemisonale Intelligenz,ist für mich Real.Ich kann es spüren,es begegnet mir,
    ich kann es nicht formelieren,,,,,,aber ich spüre es und das ist für mich,inzwischen,
    real.Ich habe mich wieder ,durch den Text angesprochen gefühlt,kann es aber nicht
    wirklich intellektuell umsetzen.Es macht micht persönlich überaus glücklich,das meine
    persönliche Gedankengänge,hier auf dieser Seite erscheinen,wow.
    Herzliche Grüße
    Alexandra

    • Taononymus sagt:

      Liebe Alexandra,

      Kann mich Dir nur anschließen: die Verbundenheit unseres Wesens mit der gesamten Umwelt lässt sich für uns westlich geprägte Menschen glaube ich wirklich nur durch Gefühle erfahren oder durch die Intuition wahrnehmen.

      Das einzige was unser westlicher Intellekt an „Umsetzung“ hier beisteuern kann ist wohl die Einsicht, dass er solche Erfahrungen und Wahrnehmungen als ebenso real stehen zu lassen hat, wie beispielsweise das warme Gefühl von Sonne auf der Haut.
      Stattdessen übt sich unser Intellekt leider allzu oft darin, gerade Erfahrungen der Verbundenheit und des All-ein-Seins durch Ausblenden zu sabotieren oder sie mit irgendeiner seiner unzähligen vorkonditionierten Überzeugungen, Meinungen und Bewertungen so lange zu zumüllen, bis das unmittelbare Gefühl einer echten Wahrnehmung verschwunden ist.

      Diese „Bauweise“ unseres Intellekts ist glaube ich der Preis, den wir für die mittlerweile Jahr tausende alte Fixierung unserer westlichen Gesellschaften auf das Dogma von der Trennung zwischen Materie und Geist zahlen.
      Ohne diese Trennung wäre nämlich auch eine der Lieblingsüberzeugungen unseres westlichen Intellekts nicht möglich, die da behauptet, dass wir eine aus reinem „Geist“ bestehende Person seien, die ihrer Umwelt als ein von ihr völlig getrenntes Ich-Wesen gegenüber treten kann.
      Und ein so gestrickter Intellekt kann gar nicht anders, als jegliche dieser Vorstellung widersprechende Erfahrung aufs schärfste zu zensieren.

      Viele Grüße,
      Taononymus

      • Lieber Taonysmus

        Ich kann mich nicht klar äußern,
        mein Geist hat es noch nicht,fest verankert.
        Aber ich kann seit längerer Zeit meiner Umwelt
        signalisieren,das ich eine Fähigkeit habe,die
        manchen angst machen und für mich ein Segen
        und Gleichzeitg ein Fluch sind.
        Sie machen mich erfolgreich und gleichzeitig verursachen
        sie mir Schmerz.Ich nenne Es“ich höre das Gras wachsen.
        Ich habe gelernt zu mir zu stehen und Ausschau zu halten ,nach Energien die mi rähnlich sind.Ebenfalls zweifelt
        etwas in mir und beschuldigt mich als Scharlatan,nur wenn ich wirkich in meiner Mitte stehe kann ich wirklich zu mir stehen.
        Darum liegt es alleine an mir selbst ganz im „wu wai“,.
        Witziger Weise habe ich gerade ein Produkt ,bei der Arbeit, wo ich ganz langsam,prezise, die doppelte Zeit mir nehmen soll,ich werde noch kirre.Ich leseund das Leben liefert mir die Übungen
        Na,lebst du schon „Wu wei“ oder glaubst du es nur?.
        Viele Humorvolle Grüße
        Alexandra

        • Taononymus sagt:

          Liebe Alexandra,

          die Schmerzen, die durch Selbstverunglimpfung à la „Du bist ein Scharlatan“ verursacht werden, sind genau das, was ich oben mit der Zensur durch unseren Intellekt meinte. Selbstzensur ist zerstörerisch und die Zerstörung unserer echten lebendigen Wahrnehmungen tut weh weil sie mitten in unsere Seele hinein schneidet.
          Auch ich kenne solche Momente sehr gut und mir hilft dann immer wieder durch zu atmen und die Zweifel und Schmerzen eine Weile anzuschauen und zu fühlen. In der Regel tritt dann eine gewisse Beruhigung ein und ich finde zurück in meine Mitte.

          Was aber die Schmerzen angeht, die durch das Unverständnis anderer Menschen entsteht, da halte ich mich mittlerweile meist an das, was Theo hier geschrieben hat:
          http://www.die-taobaustelle.de/?p=562
          Das heißt, ich bin es niemandem schuldig, mich über so tief innerliche und persönliche Dinge „klar zu äußern“, sie anderen zu begründen etc. etc.
          Ich versuche wohl, heraus zu spüren wie offen jemand anderes für solche Themen ist und vor allem auch, ob ein Gegenüber überhaupt in der Lage ist, es wert zu schätzen wenn ihm persönliche Dinge mitgeteilt werden. Manchmal entstehen dann sehr belebende Gespräche aus denen beide Seiten viele Anregungen mitnehmen können.
          Aber auf den ganzen Rest an „Feedback“ der Umwelt kann ich mittlerweile getrost verzichten.

          Lächelnde Grüße zurück,
          Taononymus
          p.s.: „Lebst Du schon Wu Wei oder glaubst Du nur?“ trifft hier voll ins Schwarze, find ich. Danke 🙂

  3. Lieber Taononysmus
    jetzt bin ich betroffen, weil ich nicht weiß
    was du damit ,wirklich meinst.
    Nein,lautet hiermit die Antwort,
    aber ,Ja ,ich bin auf dem Weg.
    Schüchterne Grüße
    Alexandra
    p.s.,???Störe ich hier?

    • Taononymus sagt:

      Liebe Alexandra,

      offensichtlich habe auch ich Schwierigkeiten mit klar zu äußern. 🙂

      Zusätzlich spielt glaube ich auch eine Rolle, dass es rein schriftlich ohnehin schwer ist, echtes Verständnis mit anderen her zu stellen. Es fehlen dabei zu viele Eindrücke, die man im direkten Gespräch auf der non-verbalen Ebene bekommen würde.
      Wenn wir uns gegenüber sitzen würden, müssten wir über dieses aneinander Vorbeischreiben hier wahrscheinlich einfach nur lachen.

      Ich persönlich finde Deine unkomplizierte Art sich hier mit zu teilen sehr erfrischend und anregend 🙂 .

      Darüber, ob hier jemand stört oder nicht habe ich nicht zu befinden, das ist ganz allein Sache der Moderation, der ich nicht angehöre. Ich bin hier nur Leser und Kommentator wie alle anderen auch.

      Liebe Grüße,
      Taononymus

  4. Rainer Fauth sagt:

    „alexandra gudelius sagt:
    20. März 2013 um 00:11
    Ich kann es spüren,es begegnet mir,
    ich kann es nicht formelieren“

    Müssen wir auch nicht, formulieren, sollen wir auch nicht, dann ist es gut. Erfahre nur – bewerte nicht. Erleuchtung ist gänzlich unspekatakulär.

    Grüße von Rainer (Chantao) aus HH

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