Lebenskunst

und hier noch ein Auszug aus dem selben Kapitel von „Tao heißt leben, was andere träumen“                                                                                                                                        Sabine

Ich möchte mich im Zusammenhang mit Lebenskunst noch einem anderen Problem zuwenden, das Sie vielleicht beschäftigt und das zugleich mitverantwortlich für ein nur gelegentliches, eher vom Zufallsgenerator bestimmtes Gelingen der Prinzipien des Nichthandelns ist. Wir wollen untersuchen, warum das Tao, obgleich seine Kräfte in uns wohnen, nicht immer nach außen dringt und genesend auf unser Leben einwirkt. Die Schwierigkeit bei der Realisierung der taoistischen Prinzipien besteht vielfach darin, dass wir diese nur gelegentlich, und dann auch nur in Teilbereichen unseres Alltags anwenden. Wir verhalten uns – um ein Beispiel aus dem Wirtschaftsleben heranzuziehen – wie ein Konzernmanager, dem der Betrieb über den Kopf wächst und der sich mangels Überblick darauf verlegt, die anstehenden Probleme einzeln und vor allem isoliert vom Gesamtprozess zu analysieren. Er sucht nach Lösungen ohne Rücksicht auf die Vernetzungen, mit denen jedes Problem mit jedem anderen verbunden ist. Er überblickt die Masse der Einflussgrößen nicht, die in seine Schwierigkeiten hineinwirken. Viele Unternehmer sind nur zum Inseldenken fähig, das heißt, sie vermögen kaum mehr als ein paar Segmente größerer Problemkomplexe zu überblicken. Man neigt hier dazu, die weniger auffälligen Anteile einer kritischen Situation aus Gründen der Vereinfachung auszuschließen und löst gerade damit oft genug den Schiffbruch aus. Ähnliches passiert bei dem Bemühen, die taoistischen Grundsätze jeweils auf eine bestimmte Situation bezogen im Alltag umzusetzen. Ich kenne ein liebenswertes Ehepaar, das sich der Lebenskunst des Tao verschrieben hat. Aber sie machen oft den Fehler, den ich hier als eine der Ursachen ansehe, dass der Daseinsgrund nach außen so wenig bewegt. Wenn sie vor einer Entscheidung stehen, lächeln sie sich zu und sagen: „Machen wir Wu wei“. Und das tun sie auch – und kehren anschließend zum gewohnten Trott zurück. Auf diese Weise findet sicher intelligentes Handeln statt, aber diese auf eine einzelne Situation bezogene Aktion hat leider nur begrenzte Auswirkungen auf den Status ihres ganzen Lebens. Durch unser Auswahlverfahren, durch das Herauspicken von Situationen, die man mittels Wu wei bereinigen will, drosseln wir den Energiestrom des Tao, so dass nur ein winziges Rinnsal unserem Alltag zufließt. Sie mögen beim Lesen dieser Worte Unbehagen spüren, weil Sie sich bei den komplexen Vernetzungen Ihrer Lebenssituation nicht vorstellen können, wie Sie diese überschauen sollen. Ihr Unbehagen täuscht Sie nicht. Weil unser Verstand linear operiert und Sachverhalte der Reihe nach abarbeitet, können wir Krisen meistens nicht vollständig überblicken. Sobald die Zahl der Einflussgrößen einer Situation die Zahl drei oder vier übersteigt, konzentrieren wir uns auf die am deutlichsten sichtbaren Punkte. Mit der Konsequenz, dass wir die groben Bestandteile einer Situation zwar intellektuell in den Griff bekommen uns aber unterschwellig das Gefühl begleitet, die heimlichen Fallstricke der Geschichte nicht zu kennen. In einer ähnlichen Lage befinden Sie sich beim Versuch, Lebenskunst durch Nichthandeln – also das Kooperieren Ihres Geistes mit dem Geist des Tao – von Fall zu Fall zu realisieren, wo Sie nur dann, wenn Sie irgendwo in Bedrängnis geraten, eine Art Gelegenheitstaoismus betreiben. Das mag mit der rechten Einstellung sogar funktionieren, aber einen grundlegenden Wandel Ihrer Lebenssituation, die Verwirklichung Ihrer Träume und Visionen kann und wird es nicht bewirken.

 

Ihr Einwand, beim Management Ihres Lebens würden Ihnen eben nur die linear arbeitenden Zellverbände Ihres Gehirns sowie Ihr guter Wille zur Verfügung stehen, ist berechtigt. Zumindest, solange Sie vom Bild des einsamen Kämpfers gegen eine unüberschaubar vernetzte Welt ausgehen. Ihre Aussichten verbessern sich schlagartig, wenn Sie sich mit Hilfe eben dieser Zellverbände klarmachen, dass Sie und diese komplexe Welt, die Sie oft genug verunsichert oder ängstigt, nicht voneinander zu trennen sind. Dass die Magie des Tao wirksam wird, braucht nur ein Ding: Ihr Einverständnis. In jeder auftretenden Situation, bei jedem noch so unscheinbaren Problem, bei jeglicher Herausforderung sollen Sie, wie Laotse sagt, mit den Dingen gehen, was meint, dass Sie Ihre Zustimmung zu der Tatsache geben, dass kein einziges Erlebnis, sei es lustvoll oder schmerzhaft, losgelöst von Ihrer gesamten Existenz betrachtet und ergo behandelt werden darf. Weigern Sie sich von jetzt an, die Energie des Weltgrundes an die armseligen Gräben zu verschwenden, die Sie im Wahn, sie würden durch Vereinzelung besser lösbar werden, um Ihre Schwierigkeiten graben. Unsere Probleme mit dem Leben sind so komplex, weil wir selber so komplex sind. Die Lösung lautet Einfachheit. Vermeiden Sie fortan die Bemühungen, jede auftauchende Komplikation in Ihrem Denken und Handeln von allen anderen abzusondern und sie als separate Größe zu behandeln. Die Dinge, die Sie da auseinander zu nehmen versuchen, bilden vor dem Hintergrund des Universums eine Einheit, die sich zwar gedanklich und emotional, aber niemals tatsächlich trennen lässt.

 

Vielleicht erzeugt das Gesagte ein Gefühl von Ohnmacht in Ihnen. Es scheint, als gäbe es kein Mittel, um die Kluft zwischen Ihren Einzelaktionen und dem Gesamtkomplex des Alltagsgeschehens zu überbrücken. Das ist aus der Sicht des taoistischen Denkens aber kein Grund für Ohnmachtsgefühle. Sie haben die Unmöglichkeit, dem gezeichneten Problem mit Verstand und Willen beizukommen, verstanden und akzeptiert. Sie haben erkannt, wie notwendig ein ganzheitliches Krisenmanagement wäre, wie sparsam die Natur Sie aber biologisch für diese Aufgabe ausgestattet hat. Es ist die Erkenntnis Ihrer Unzulänglichkeit, die schließlich die Veränderung auslöst. Sie bewirkt, dass der Geist des Grundes mit Ihrem individuellen Bewusstsein verschmilzt. Sie gehen wie der Phönix aus der Asche gestärkt aus dem Fiasko des Versagens Ihrer Fähigkeiten hervor. Sie isolieren die Probleme fortan nicht mehr voneinander – Ihre Defizite, das Gesamtgeschehen zu überblicken, verschwinden auf geheimnisvolle Weise, weil der Grund der Dinge diese Funktion übernimmt. Frei von jeder Gehirnakrobatik wächst in Ihnen ein Gefühl heran, das – frei nach Laotse – aller Dinge Art durchschaut.                                                              Theo Fischer

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