Räubermoral

Die Gesellen des Räubers Dschi fragten ihn einmal: „Braucht ein Räuber Moral?“
„Aber selbstverständlich“, sagte Dschi. „Ohne Moral kommt er nicht aus. Intuitiv erkennt er, wo etwas verborgen ist, das ist seine Größe. Er muss wissen, ob es geht oder nicht. Das ist seine Weisheit. Er muss gleichmäßig verteilen, das ist seine Güte. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass ein Mann, der es auch nur an deiner dieser Tugenden fehlen lässt, ein großer Räuber wird.“
Chuang tzu

Chuang tzus Einstellung zur Unparteilichkeit des Tao kommt in diesem Textfragment seiner Abhandlung über Moral als Schutz der großen Räuber zum Ausdruck. Und natürlich seine Ironie gegenüber den Ungerechtigkeiten in der Welt. Ich darf in dieser kurzen Betrachtung dem Raub das Delikt Betrug hinzufügen. Auch in unseren Tagen kommen die großen Betrüger oft straflos oder auf Bewährung mit Geldbußen davon. Nur die kleinen Diebe hängt man, sagt schon ein Sprichwort aus dem Mittelalter – und die großen lässt man laufen. Denken Sie an die Prozesse gegen Konzernmanager (Herrn Hartz zum Beispiel) und die lächerlichen Strafen, die ihnen auferlegt wurden. Aber ist Ihnen eigentlich klar, dass wir alle Betrüger sind? Kleinere und größere, je nachdem. Sie protestieren? Noch nie haben Sie sich zum Nachteil anderer bereichert? Das meine ich auch nicht. Ich spreche von Selbstbetrug. Sie, wir alle, betrügen uns von Zeit zu Zeit selber, indem wir uns über unseren Zustand etwas vormachen und vor den Tatsachen alle Augen zudrücken. Was verhindert, dass sich etwas bei uns ändert. Wäre Selbstbetrug strafbar, hätte jeder von uns schon einmal Gefängnis verdient.

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3 Antworten zu Räubermoral

  1. gitti sagt:

    Damit wir uns den Tatsachen nicht stellen müssen, entsteht Selbstbetrug, ich ertappe mich natürlich auch dabei. Doch es zu erkennen ist schon ein großer Fortschritt-fnde ich.
    Diese ironische Betrachtung Tschuang tsus gegenüber den Ungerechtigkeiten dieser unserer Welt gefällt mir sehr gut.
    Die vielen Gesetze,Vorschriften…..die in unserer Gesellschaft immer mehr
    werden und wo man glaubt die Menschen „bessern“ zu können, empfinde ich oft als Tugendterror.
    Die Unparteilichkeit des TAO gibt uns die Möglichkeit selbständig und autonom die eigene Wahrheit zu erkennen.
    Liebe Grüße! Gitti

  2. Matthias sagt:

    Nun ja, seit Robin Hood gibt es keine großen Räuber mehr gemäß Chuang tzu.
    Die modernen Räuber und Betrüger sind nur „groß“ bezogen auf die Menge Geld, die sie verbrennen oder stehlen. Ihnen fehlen mindestens die Tugenden der Weisheit und der Güte.

    § 263 StGB:
    Betrug

    (1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

    Selbstbetrug wie von Theo Fischer beschrieben ist ja auch Selbstbestrafung. Insofern schleppen wir Selbstbetrüger unser Gefängnis mit uns herum (und merken es oft nicht einmal). Gelebter offener Strafvollzug 🙂

    Herzliche Grüße,
    Matthias

    • Taononymus sagt:

      Hallo Ihr,

      also ich hab‘ so meine Zweifel, ob Chuang tzu mit der Güte des gleichmäßigen Verteilens wirklich ein Verhalten à la Robin Hood, dem „räuberischen Rebellen, Rächer der Armen und Entrechteten“ gemeint hat… aber verstehen kann man es natürlich auch auf diese Weise.

      Mir kam beim „gleichmäßigen Verteilen“ mehr generell die soziale Fähigkeit zum gerechten Aufteilen einer Beute nach gemeinsamem erfolgreichem Raubzug in den Sinn. Die allerwenigsten „Räubereien“ sind ja reine Einzeltaten, meistens handelt es sich eher um „Teamarbeit“.
      Und in dem Moment, wo die Beute dann errungen und erfolgreich in Sicherheit gebracht ist, kommt für das „Räuberteam“ ein weiterer kritischer Moment.
      Gelingt es, die Beute so aufzuteilen, dass die Beteiligten es als gerecht empfinden oder versucht man sich zu übervorteilen, zerstreitet sich darüber und reibt sich im Extremfall in einen Verteilungskampf auf?

      Ich finde, wenn man „Beute“ durch etwas Zivileres wie Gewinn, Erbe o.ä. ersetzt, lässt sich die Problematik des fairen Teilens eines gemeinsam errungenen Zugewinns in beinah jeder Situation, in der Menschen kooperiert und dadurch etwas erreicht haben, wieder finden.

      Egal ob auf familiärer, wirtschaftlicher oder gar gesellschaftlicher Ebene, es ist leicht zu beobachten, wie ein solcher Zugewinn beinah zwangsläufig dazu führt, dass die erfolgreiche Gruppe in Verteilungskämpfe schlittert und die Mitglieder beginnen, einzeln oder in „Parteien“ aufeinander loszugehen.
      Diejenigen, die sich als benachteiligt empfinden, stellen sich dann gerne flugs selbst als „beraubte“ Opfer hin und versuchen, die andere Partei als „Räuber“ an den Pranger zu kriegen.

      Räuber mutieren so zu in ihrer Sicht „zu Recht“ empörten „Beraubten“, plötzlich ist untern den vorher einvernehmlich Beute machenden Räubern dann wieder die Moral gefragt, es wird gezankt, geklagt und nach einem Richter geschrien.

      Und auch zum Wechselspiel zwischen Moral und Räuberei hat Chuang tzu einen Text zu bieten, der dermaßen zeitlos aktuell ist, dass ich mir das Zitieren einfach nicht verkneifen kann:

      „Sich gegen Diebe, die Kisten aufbrechen, Taschen durchsuchen, Kasten aufreißen, dadurch zu sichern, daß man Stricke und Seile darum schlingt, Riegel und Schlösser befestigt, das ist’s, was die Welt Klugheit nennt. Wenn nun aber ein großer Dieb kommt, so nimmt er den Kasten auf den Rücken, die Kiste unter den Arm, die Tasche über die Schulter und läuft davon, nur besorgt darum, daß auch die Stricke und Schlösser sicher festhalten.“
      Wer das ganze Kapitel lesen möchte, kann es hier finden: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Zhuang+Zi+(Dschuang+Dsi)/Das+wahre+Buch+vom+s%C3%BCdlichen+Bl%C3%BCtenland/2.+Exoterisches/Buch+X/Wider+die+Kultur+III/1.+Moral+als+Schutz+der+gro%C3%9Fen+R%C3%A4uber

      Wenn man nun beide Texte zusammen auf sich wirken läßt, braucht man glaube ich nicht mehr viel Zusätzliches zu lesen, um ein treffendes Abbild des menschlichen Mit- und Gegeneinanders auf verschiedensten Ebenen zu erhalten.

      Viele Grüße,
      Taononymus

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