Vögel kehren heim

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Gestern Abend stand ich im Hof und blickte nach Süden zu den Bergen, hinter denen die untergehende Sonne den Himmel rot zum Glühen brachte. Ich beobachtete ein Pärchen Raben, die eng beieinander vor der dramatischen Silhouette vorüberflogen. Und da kam mir die Zeile eines Gedichtes in den Sinn, das mir einst, als ich Wu wei schrieb, eine wichtige Hilfe gewesen war: „paarweise kehren Vögel heim ins Nest.“ Ich fühlte mich bei diesem sehr intensiven Erleben dem unbekannten Dichter nahe, der einst den Sechszeiler wohl aus einer ähnlichen Stimmung heraus niedergeschrieben hat

Ich sammle Chrysanthemen an der Osthecke,
schau still hinüber zu den Südbergen.
Die Bergluft frisch zur Abenddämmerung,
paarweise kehren Vögel heim ins Nest.
In all diesen Dingen liegt tiefe Bedeutung.
Will ich sie aussprechen, so schwinden mir die Worte.

Später habe ich zu realisieren versucht, was ich in diesen wenigen Augenblicken empfunden habe, da die beiden Vögel nicht nur an meinen Augen, sondern auch an meinem Sinn vorbeigezogen sind. Und während ich diese Zeilen niederschreibe versuche ich, etwas in Worte zu fassen, das sich selbst im Rückblick, also aus der Erinnerung, gar nicht so leicht formulieren lässt. Es war nämlich während dieser Momentaufnahme in der Natur draußen etwas eingetreten, das ich mit „kein Zustand“ bezeichnen würde. Denn außer diesem intensiven Erleben war da sonst überhaupt nichts mehr vorhanden. Weder der beobachtende Mensch noch die majestätische Kulisse der Berge. Es existierte für wenige Augenblicke nur das Erlebnis von Schöpfung, es war die Erfahrung eines Stattfindens, in dem es das Individuum, das sich als Beobachter identifizierte und von dem Geschehen abtrennte, ebenso wenig gab, wie einen Geist, der diesen kurzen Blick totaler, nonverbaler Erkenntnis hätte definieren können. In der Erinnerung will mir scheinen, als ob es einst jenem anonymen taoistischen Dichter ähnlich ergangen wäre – wie er es in der letzten Zeile ja auch ausdrückt. TF

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9 Antworten zu Vögel kehren heim

  1. gitti sagt:

    Lieber Herr Fischer!
    Danke für den schönen Text am heutigen Sonntag.
    In Ihrem Buch Wu-Wei schreiben Sie von einem Erlebnis, daßSie als Kind hatten…..
    nach einem kurzen Sommerregen mit Ihrer Mutter zu Fuß……
    Bei dieser Beschreibung konnte ich dieses Einheitserlebnis klar nachempfinden.
    In diesem Gedicht des unbekannten Dichters, kommt das Gleiche zum Ausdruck.
    Vor ein paar Tagen las ich den Begriff „Joint Attention“- gemeinsame Aufmerksamkeit
    so könnte man diese Erfahrung auch bezeichnen. Wo ein Dichter und ein Leser zur gleichen Erfahrung (Wahrnehmung) kommen.
    Einen schönen Sonntagabend Gitti

  2. Taononymus sagt:

    Hallo Ihr,

    das Gedicht is von Tao Yuanming: http://de.wikipedia.org/wiki/Tao_Yuanming

    Viele Grüße und eine schöne Woche,
    Taononymus

  3. Guten Abend ,Herr Fischer,
    mir trieb es gerade die Tränen in die Augen
    sosehr hat es mich berührt und es ist wie
    ein Ruf,denn soviele Jahre schon möchte
    ich zu ihnen in den Urlaub.Seit 11 Jahren denke
    ich wenn ich nicht alleine Fahren müßte,wäre ich
    schon lange bei ihnen,was nur sagt mir dieses
    Gedicht,das es mich sosehr berührte.
    Wu wei ist mir ein liebevoller Lebensbegleiter
    geworden und für das möchte ich mich bei ihnen
    herzlich bedanken.
    Liebe Grüße aus dem Schwarzwald,Horb,
    Alexandra

  4. JE sagt:

    Liebe Frau Gudelius,

    ich kann Sie nur ermutigen, ein paar Tage Urlaub auf „La Costa“ zu verbringen.
    Seit ich das erste Mal dort war, zieht es auch mich immer wieder dort hin…

    Herzliche Grüße
    JE

    • Taononymus sagt:

      Liebe Frau Gudelius,

      ein spontaner Gedanke, der mir beim Lesen Ihres Kommentars kam:
      Sie schreiben, es hätte sich elf Jahre lang keine Gelegenheit für eine gemeinsame Fahrt mit anderen nach La Costa ergeben.
      Könnte dieses hartnäckige Ausbleiben von etwas, das Sie sich sehr wünschen, nicht auch ein Signal dafür sein, dass Sie diese Fahrt ALLEINE antreten sollten?

      Viele Grüße,
      Taononymus

  5. Liebes Taononymus,
    genau dieser Gedanke ist bei
    mir gerade present.Und ich dühle mich durch die Aussagen
    von Hier ,auch noch bestätigt.Auf das mich dieses
    Anschuckerle in Fahrt bringt,vielen Dank.
    und liebe grüße
    Alexandra

    • Sabine sagt:

      kleine Anmerkung von meiner Seite: frau kann auch durchaus mit dem Zug zu uns fahren. Gut, paarmal umsteigen, aber ansonsten bequem und problemlos.
      Abholdienst vom Bahnhof Mondovi sichere ich zu 😉 und zum Einkaufen o.ä. ist auch immer noch ein Platz in meinem Auto.
      Sonntägliche Grüße
      Sabine

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