auch wenn das Bild nach Sommer, Sonne und Ferien aussieht, hier regnet es seit ca. 6 Wochen mit nur sehr kurzen Sonnenpausen. In einer dieser Pausen hab ich das Foto gemacht. Hier war eigentlich einmal unser Gemüsegarten, aber da mir die Arbeit alleine zu viel wird, ist es jetzt eben Wiese und damit ein schöner Platz für eine Hängematte für meine Gäste. Und passend zum Junianfang habe ich den Leitartikel aus dem TagundTao Heft vom Juni 2008 ausgesucht. Sabine
Juni 2008
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich möchte mich heute ohne weitere Umschweife wie „es wird Sommer und die Ferien stehen wieder mal vor der Tür“ oder ähnlichen Plattheiten einem Problem zuwenden, das viele von Ihnen beschäftigt und das zugleich mitverantwortlich für ein nur gelegentliches, eher vom Zufallsgenerator bestimmtes Gelingen der Prinzipien des Nichthandelns ist. Im Vorwort zu seiner Übersetzung des Tao te king erwähnt Richard Wilhelm die Schwierigkeiten Laotses, vom Standpunkt des obersten Prinzips aus zur alltäglichen Wirklichkeit herabzusteigen. Wilhelm überlässt Mephistopheles aus Goethes Faust das Wort, der das Dilemma ausdrückt:
Der Gott, der mir im Busen wohnt, kann tief mein Innerstes erregen.
Der über allen meinen Kräften thront, er kann nach außen nichts bewegen.
Wilhelm hat damals ganz richtig erkannt, dass sich die Problematik zwischen dem Menschen und dem schöpferischen Grund durch Glauben oder Philosophieren allein nicht auflösen lässt. In seinem Text fährt er fort: „Dem Wirklichen wohnt ein irrationaler Rest inne, der sich denkend nicht erfassen lässt. Vielleicht ist eben dieser irrationale Rest der Daseinsgrund alles Individuellen. An ihm hat sich seit Urzeiten die Menschheit wundgerieben, ohne eine Antwort auf ihre Frage zu finden – die vielleicht überhaupt nicht anders als durch den Einzelnen für ihn zu lösen sind.“
Lassen Sie uns untersuchen, warum ES, obgleich seine Kräfte in uns wohnen, nicht nach außen dringt und genesend auf unser Leben einwirkt. Die Schwierigkeit bei der Realisierung der taoistischen Prinzipien besteht vielfach darin, dass wir diese nur gelegentlich, und dann auch nur in Teilbereichen unseres Alltags anwenden. Wir verhalten uns – um ein Beispiel aus dem Wirtschaftsleben heranzuziehen – wie ein Konzernmanager, dem der Betrieb über den Kopf wächst und der sich mangels Überblick darauf verlegt, die anstehenden Probleme einzeln und vor allem isoliert vom Gesamtprozess zu analysieren. Er sucht nach Lösungen ohne Rücksicht auf die Vernetzungen, mit denen jedes Problem mit jedem anderen verbunden ist. Er überblickt die Masse der Einflussgrößen nicht, die in seine Schwierigkeiten hineinwirken. Viele Unternehmer sind nur zum Inseldenken fähig, das heißt, sie vermögen kaum mehr als ein paar Segmente größerer Problemkomplexe zu überblicken. Man neigt hier dazu, die weniger auffälligen Anteile einer kritischen Situation aus Gründen der Vereinfachung auszuschließen und löst gerade damit oft genug den Schiffbruch aus.
Ähnliches passiert bei dem Bemühen, die taoistischen Grundsätze jeweils auf eine bestimmte Situation bezogen im Alltag umzusetzen. Ich kenne ein liebenswertes Ehepaar, das sich der Lebenskunst des Tao verschrieben hat. Aber sie machen oft den Fehler, den ich hier als eine der Ursachen ansehe, dass der Daseinsgrund nach außen so wenig bewegt. Wenn sie vor einer Entscheidung stehen, lächeln sie sich zu und sagen: „Machen wir Wu wei“. Und das tun sie auch – und kehren anschließend zum gewohnten Trott zurück. Auf diese Weise findet sicher intelligentes Handeln statt, aber diese auf eine einzelne Situation bezogene Aktion hat leider nur begrenzte Auswirkungen auf den Status ihres ganzen Lebens. Durch unser Auswahlverfahren, durch das Herauspicken von Situationen, die man mittels Wu wei bereinigen will, drosseln wir den Energiestrom des Tao, so dass nur ein winziges Rinnsal unserem Alltag zufließt. Sie mögen beim Lesen dieser Worte Unbehagen spüren, weil Sie sich bei den komplexen Vernetzungen Ihrer Lebenssituation nicht vorstellen können, wie Sie diese überhaupt überschauen sollen. Ihr Unbehagen täuscht Sie nicht. Soweit Ihr Gehirn auf seine Fähigkeit zum simultanen Denken allein angewiesen ist, dürfte es Ihnen vermutlich nicht besser als dem zitierten überforderten Unternehmer ergehen.
Unser Verstand operiert linear. Er arbeitet Sachverhalte der Reihe nach ab. Das führt dazu, dass wir Krisen oft nicht vollständig überblicken. Sobald die Zahl der Einflussgrößen einer Situation drei oder vier übersteigt, konzentrieren wir uns auf die am deutlichsten sichtbaren Punkte. Mit der Konsequenz, dass wir die groben Bestandteile einer Situation zwar intellektuell in den Griff bekommen uns aber unterschwellig das Gefühl begleitet, die heimlichen Fallstricke der Geschichte nicht zu kennen. In einer ähnlichen Lage befinden Sie sich beim Versuch, Nichthandeln – also das Kooperieren Ihres Geistes mit dem Geist des Tao – von Fall zu Fall zu realisieren. Wo Sie immer dann, wenn Sie irgendwo in Bedrängnis geraten, so eine Art Gelegenheitstaoismus betreiben. Dies mag mit der rechten Einstellung auch funktionieren, doch einen grundlegenden Wandel Ihrer Lebensqualität kann und wird es nicht bewirken.
Ihr Einwand, beim Management Ihres Lebens würden Ihnen eben nur die linear arbeitenden Zellverbände Ihres Gehirns sowie Ihr guter Wille zur Verfügung stehen, ist berechtigt. Zumindest, solange wir vom Bild des einsamen Kämpfers gegen eine unüberschaubar vernetzte Welt ausgehen. Ihre Aussichten verbessern sich schlagartig, wenn Sie sich mit Hilfe eben dieser Zellverbände klarmachen, dass Sie und diese komplexe Welt, die Sie oft genug verunsichert oder ängstigt, nicht voneinander getrennt sind. Damit die Magie des Tao wirksam wird, wird nur ein Ding gebraucht: Ihr Einverständnis. In jeder auftretenden Situation, bei jedem noch so unscheinbaren Problem, bei jeglicher Herausforderung sollen Sie Ihre Zustimmung zu etwas geben. Zu welchem Etwas? Ganz einfach: dazu, dass kein einziges Erlebnis, sei es gut oder schlimm, losgelöst von Ihrer gesamten Existenz betrachtet und ergo behandelt werden darf. Sie weigern sich künftig, die Energie des Weltgrundes auf die armseligen Gräben zu verschwenden, die Sie um Ihre Schwierigkeiten graben, im Wahn, sie würden einzeln besser lösbar werden. Unsere Schwierigkeiten mit dem Leben sind so komplex, weil wir selber so komplex sind. Die Lösung lautet Einfachheit. Vermeiden Sie fortan die Bemühungen, jede auftauchende Komplikation in Ihrem Denken und Handeln von allen anderen abzusondern und sie als separate Größe zu behandeln. Sehen Sie es ein: die Dinge, die Sie da auseinanderzunehmen versuchen, bilden vor dem Hintergrund des Universums eine Einheit, die sich zwar ideell, aber niemals tatsächlich trennen lässt.
Vielleicht erzeugt das vorher Gesagte ein Gefühl von Ohnmacht in Ihnen. Es scheint, als könnten Sie überhaupt nichts unternehmen, um die Kluft zwischen Ihren „single actions“ und dem Gesamtkomplex Ihres Alltagsgeschehens zu überbrücken. Doch seien Sie getrost: das Gefühl der Ohnmacht täuscht. Sie haben verstanden, dass Ihr Blick auf ein einzelnes Problem auch den Blick auf dessen gesamte Vernetzungen verlangt. Und Sie wissen um die Schwierigkeit, diese Forderung mit Hilfe von Verstand und Willen zu erfüllen. Was bleibt Ihnen also übrig? Richtig: Nichts! Im Wissen um die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Krisenmanagements und der Einsicht, wie sparsam die Natur Sie biologisch dafür ausgerüstet hat, wird die Antwort sichtbar: Die Lösung, vielmals wirkungsvoller als jede organische Fähigkeit, ist die Mutation, in der der Geist des Grundes mit dem Menschengeist verschmilzt. Das Mittel, das diese Mutation auslöst, ist einzig und allein, wie oben beschrieben die Einsicht. Ohne dass es Ihnen bewusst würde, werden Sie die gewaltige Bewegung des Lebens samt seiner unzählbaren Vernetzungen spüren, sobald Sie das Isolieren Ihrer Probleme aufgeben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen beglückenden, wunderschönen Sommeranfang. Möge Ihnen gelingen, was Sie sich wünschen. Ihr Theo Fischer
Danke Frau Fischer für den Text.
Herr Fischer gebraucht den Satz…es wird nur ein Ding gebraucht, Ihr Einverständnis um den irrationalen Rest (TAO), der sich denkend nicht erfassen läßt….
Ich nenne es oftmals Hingabe. Und mich erfaßt immer wieder Angst jegliche „Sicherheitsnetze“, die ich mir eben aus dieser Angst aufgebaut habe, zu ignorieren,aufzulösen oder einzureißen. Mittlerweile glaube ich, daß dieses Einverständnis ständig neu erworben werden muß. (Stirb und Werde J.W.Goethe)
Liebe Frau Fischer, ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer
liebe Grüße Gitti Haas