Mein Haus baute ich mitten in der Menschensiedlung.
Und höre doch den Lärm von Pferd
und Wagen nicht.
Wie das denn möglich ist?
Ist dein Sinn losgelöst, ist auch dein Wohnort friedlich.
Ich sammle Chrysanthemen an der Osthecke,
schau still hinüber zu den Südbergen.
Die Bergluft frisch zur Abenddämmerung.
Paarweise kehren Vögel heim ins Nest.
In allen diesen Dingen liegt tiefe Bedeutung.
Will ich sie aussprechen, so fehlen mir die Worte.
Der Dichter Tao Chien lebt mitten unter Menschen, die voll im Weltgetriebe stehen. Dennoch ist sein Geist außerordentlich aufnahmefähig für die Schönheiten, die ihm trotz seines Wohnsitzes zugänglich sind. Gäste und Besucher auf La Costa klagen oft, dass ihnen zuhause die Ruhe fehlt, das Tao zu verwirklichen. Aber die Ruhe ist überall zu finden. Das Problem ist, dass wir an jedem Platz der Welt unser Selbst im Rucksack bei uns haben. Bei der Geburt drückt man uns den Rucksack in die Hand und verlangt, alle Erfahrungen hineinzutun. So schleppen wir unser Wissen über uns ein Leben lang mit uns herum und lassen uns von ihm beeinflussen. Die Vergangenheit formt unseren Geist. Mit dem Ergebnis, dass wir uns nirgends, wo wir uns aufhalten, richtig wohl fühlen. Dort wo wir leben, ist allemal der Platz, von dem aus wir gerne irgendwo anders wären. An jedem Ort, den Sie erreichen, werden Sie jenen Weltgeist, dem Sie entfliehen möchten, mitbringen. An Stelle von Fluchtgedanken sollten Sie besser den Schritt zum inneren Frieden suchen. Diesen Schritt tun Sie, indem Sie alle Gier aus Ihrem Leben entfernen. Die Stille des WEGES und Frieden im Herzen stellen sich ein, sobald Sie darauf verzichten, andauernd tausend Dinge anders haben zu wollen, als sie eben sind.
—–„ An Stelle von Fluchtgedanken sollten Sie besser den Schritt zum inneren Frieden suchen.“—–
Die ist eine Empfehlung, eine Aufforderung, etwas zu verändern, etwas zu suchen- also etwas anders haben zu wollen, als es ist.
—–„Diesen Schritt tun Sie, indem Sie alle Gier aus Ihrem Leben entfernen.“—–
Diese Entfernung der Gier wäre eine weitere Veränderung dessen was ist.
(Aber wie t u e ich dies denn genau?)
—–„ Die Stille des WEGES und Frieden im Herzen stellen sich ein, sobald Sie darauf verzichten, andauernd tausend Dinge anders haben zu wollen, als sie eben sind.“—–
Wenn ich darauf verzichte, Dinge anders haben zu wollen, als sie sind, ist alles so, wie es ist, (hier im Beispiel sind dann also vorhandene Fluchtgedanken, Gier etc.) bis es sich von allein verändert.
Warum also Empfehlungen? Und; ist „verzichten, etwas zu tun“ nicht auch ein tun?
fragt robo
Hallo robo,
man kann mit Worten jeden noch so intelligenten Satz so lange zer-pflücken, bis er überhaupt keinen Sinn mehr ergibt. Wenn wir unse-re Gier nach Auskunft mit der Intelligenz vertauschen, die sich aus dem Grund der Dinge in uns rührt, dann stellen sich die Ant-worten ein. Richten Sie Ihre Fragen an sich selbst – und die Ant-worten werden von alleine in Ihrem Geist auftauchen. TF
—„(…)man kann mit Worten jeden noch so intelligenten Satz so lange zer-pflücken, bis er überhaupt keinen Sinn mehr ergibt. „—
Das stimmt wohl; in jeder Hinsicht-die Dinge sind eben, wie sie sind. Hier noch ein paar Worte,…sinnvoll oder…?
„Manchmal bringt die Entscheidung, etwas zu wagen, Nachteil,
das heißt, es nicht getan zu haben, hätte den Vorteil gebracht.
Mal ist die eine, mal die andere Entscheidung die Beste.
Warum sich die Dinge mal so und mal so ergeben,
darauf hat selbst der Weise keine Antwort.
Der Lauf der Dinge hat seine eigene Art,
es vollzieht sich einfach – ohne Diskussion,
zeugt von sich – ohne Sprache,
führt Entscheidungen herbei – ohne Anweisungen,
macht alles passend – immer im richtigen Augenblick.
Das Geschehen der Welt ist zwar mannigfaltig,
doch der Lauf der Dinge läßt nichts aus.“
Vers 73-Tao Te King-Übersetzung Matthias Claus
Lieber Herr Fischer
Einfach grandios Ihre Antwort…: Ja, richten wir die Fragen an uns selbst, werden die Antworten von alleine aus uns selbst auftauchen…!
Weiterhin wünsche ich Ihnen und Ihrer Frau aus tiefstem Herzen erfolgreiches Wirken und so grüsse ich Sie herzlich,
in Verbundenheit, Albrecht Lauener
Lieber Theo,
ich danke dir von Herzen für deine Worte, die mich – wieder einmal – genau zum passenden Zeitpunkt erreichen.
Seit ich letztes Jahr auf La Costa jeden Morgen etwa eine Stunde mit meiner Kaffeetasse am Fenster gesessen und in die vom Nebel verhangenen Haselnussplantagen geschaut habe, finde ich diese Ruhe und Sicht der Dinge immer wieder! Dank für vieles und herzliche Grüße an Sabine!
Hallo Nada,
das mit der Kaffeetasse in der Hand und dem Betrachten der nebelverhangenen Bäume (bei mir sind’s Obstbäume) hab‘ ich heute auch ausprobiert… tut seeehr gut 🙂
😉
Wer weiß, wer jetzt in der Novembernebelzeit noch so alles mit Kaffetasse in der Hand in Gärten hinausschauend dasitzt…
😉
Liebe Grüße,
Taononymus
Lieber Herr Fischer!
Dieser wunderbare Text des Dichters Tao Chien, denn ich bis jetzt nicht kannte, berührt mich sehr.
Das was mich immer wieder bedrückt, ist daß viele Menschen diesen Text für schön und wahr finden- doch nur für kurze Zeit;dann wieder in die Welt hinausgehen- und ihre kleine eigene Gier ausleben.
Diese Vereinnahmung dieser und auch anderer schönen Zeilen stört mich.
In einer Bewertung über den Dichter Tao Chien habe ich folgendes gelesen: „Tao Chiens Dichtung kann verstanden werden als Protest eines Menschen, der der Welt zugewandt ist,dem jedoch nur der Rückzug von ihr übrigbleibt.“
Ich denke das ist nicht als Resignation zu verstehen.
Heute habe ich in den Nachrichten von den massiven Niederschlägen in ihrer Gegend gehört, ich hoffe Sie sind nicht allzusehr betroffen davon,
mit lieben Grüßen
Gitti Haas
Hallo Gitti und Theo,
kannte Tao Chien auch noch nicht, würde das aber gerne ändern. Scheint mir eine lohnende Weihnachtslektüre zu sein. 🙂
Welche Ausgabe seiner Texte würdet Ihr empfehlen?
Viele Grüße,
Taononymus
Liebe Gitti und alle Anderen,
danke für die Aussage, dass Rückzug nicht zwangsläugig resignativ zu bewerten ist. Ich selbst stelle oft fest, wie gut es mir geht, wenn ich ein wenig innere „Abschottung“ betreibe, die innere ruhe zur Basis nehme. Aber bin durch verschiedene Faktoren darauf konditioniert worden, dass man damit nur im psychischen Elend landen wird, allenfalls dement wird im Alter :-\
Ein Hoch auf die Kaffeetassen, die Nebelschwaden und dahinziehende Stunden…
Und ja, auch ich hoffe, dass La Costa zwar den lange erwarteten Regen bekommen hat aber keinen Schaden nahm im Zuge der jüngsten Ereignisse –
lieber Theo, lass uns gern was von Euch hören, herzliche Grüße auch an Sabine
Liebe Gitti
danke für die Nachfrage. Die Niederschläge wollen nicht enden. Unser Anwesen ist vor Wasser geschützt – es liegt 650 Meter hoch, aber in den Tälern steigen die Fluten. Vom überfluteten Po her steigt das Wasser jetzt bis herauf in die höher gelegenen Täler. Wir riskieren keine Fahrten mehr, bei denen die Straßen Flüsse begleiten oder sie kreuzen. Bei uns streikt inzwischen die Zentralheizung, vermutlich ist Wasser über das Abluftrohr in den Gasbrenner gedrungen. Auch das Telefon gibt Störgeräusche von sich, so laut, dass Gespräche schwierig geworden sind.
Zum Dichter Tao Chien kann ich Fragen nach Büchern mit seinen Gedichten nicht beantworten – ich habe das Gedicht dem Sammelband Tao, Zen und schöpferische Kraft entnommen. Am ehesten dürfte das Internet noch etwas hergeben.
Mit gleichfalls lieben Grüßen Theo Fischer
Hallo Ihr,
habe mir inzwischen mal dieses hier gegönnt und angefangen drin zu schmökern:
Tao Yuanming (oder Tao Chian/ Tao Qian), der Pfirsichblütenquell:
http://www.amazon.de/Tao-Yuanming-Qian-Pfirsichbl%C3%BCtenquell-Gedichte/dp/3934453309/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1322932605&sr=8-1
Erste Eindrücke:
Der Dichter vermittelt ein erstaunlich direktes Bild über sich als Menssch, über das was er liebte, aber auch seine Schwächen, Sorgen, Nöte und Ängste.
Diese Ausgabe von 2010 ist von verschiedenen Übersetzern in Zusammenarbeit direkt aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt und kommt im Stil eines „Arbeitsbuches“ für Interessierte daher.
Meinem Eindruck nach kommt genau das den Texten Tao Yuanmings sehr entgegen: einfach und fast ganz ohne religiösen oder philisophischen Ballast, dafür als Mensch umso greifbarer.
Viele Grüße,
Taononymus