Der Schrei nach Erkenntnis

Im Buddhismus gibt es einen sehr treffenden Vergleich vom Fehler, den Menschen auf der Suche nach Erkenntnis begehen: Du stehst bis zum Bauch im Wasser und schreist ICH HABE DURST!!

Einem ähnlichen Phänomen begegne ich viel zu oft auch bei Gesprächen mit Menschen, die sich von dem Zuwachs an spiritueller Erkenntnis auch einen Zugewinn an Lebensqualität erhoffen. Und die nach jedem Versuch in dieser Richtung voller Bedauern bekennen müssen: es hat nicht geklappt. Im Inneren hat sich außer einer Veränderung der Denkrichtung des Wünschens nichts getan.

Zu verstehen, was in unserem Leben verändert werden kann, worüber wir tatsächlich Macht besitzen, ist aus einem ungewöhnlichen Grund so schwierig – und ich habe es des öfteren schon betont: es ist so schwierig, weil es so einfach ist!

Die ganzen Methoden, die seit Jahrtausenden in diesem Zusammenhang gepredigt werden – auch jene der Buddhisten – sind ohne Wirkung, weil sie seitens ihrer Verkünder einen völlig anderen Zweck haben, als den, die Nachfolger von ihren Leiden zu erlösen. Es geht einzig um Macht über andere – und weiter nichts.

Der menschliche Geist ist in seiner Grundstruktur so angelegt, dass er zum Gewinnen von Erkenntnissen, die sein Leben erleichtern und sein Los verbessern, keinerlei Anleitung von außen bräuchte. Im Gegenteil: jede Nachfolge einer Lehre verhindert im Grunde den Prozess einer Erkenntnis, die von innen durchbrechen würde, wenn der Betroffene, der Ringende nur stille hielte. Das ist die geheime Magie des Wu wei, des Nichthandelns: dass wir uns absolut frei von allen geistigen Einflüssen machen. Insbesondere auch von jenen, die wir uns im Verlaufe unseres Lebens selber aufgebaut haben, indem wir Einsichten Dritter akzeptiert haben, die uns plausibel und realisierbar erschienen.

Was kann ich Ihnen also für die nächsten Tage an Ratschlägen zum Öffnen der Erkenntnis mit auf den Weg geben? Nichts! Absolut nichts. Ich darf Bertold Brecht das letzte Wort lassen – und frage mich, woher er das wohl gewusst hat. Vermutlich einfach durch die Einsicht in die eigenen Fehler auf der Suche nach den Wahrheiten des Seins. Also, hier ist der Spruch:

Wenn alle Irrtümer verbraucht sind,
sitzt dir als letzter Gesellschafter
das Nichts gegenüber.

Bertold Brecht

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8 Antworten zu Der Schrei nach Erkenntnis

  1. Sittingfool sagt:

    Lieber Theo Fischer,
    ich darf mich Ihnen als neuer Leser Ihres Blogs vorstellen. Ich habe vor 20 Jahren ihre Bücher zum ersten Mal gelesen und Impulse gewonnen, die mich bis heute begleiten. (Seit etwa sieben Jahren bin ich vom Hals abwärts gelähmt und habe seitdem ihre Bücher immer wieder empfohlen und verschenkt, aber, weil es keine E-Book-Ausgabe für den Computer gab, nicht mehr selbst gelesen. Im März bestellte ich wieder mal zwei Bücher von ihnen zum Verschenken und stieß bei Amazon auf den Button „Verlag verständigen: Dieses Buch auf dem Kindle lesen.“ Das tat ich und im Mai kam mir der Gedanke, google doch mal „Theo Fischer“. Das tat ich, fand ihr Blog mit dem Hinweis „E-Books“, bestellte und lese gerade „WU WEI – die Lebenskunst des Tao“.)
    Als ich ihre Bücher zum ersten Mal gelesen habe, war ich Anarchist und glaubte (ich mag mir da kein Urteil anmaßen) in ihnen einen Geistesverwandten zu erblicken. Und eine gewisse anarchische Grundhaltung scheint mir bei Ihrem Beitrag auch heute durch zu scheinen; jedenfalls darin, jede Lehre abzulehnen und zu unterstellen, es käme immer nur auf Machtausübung heraus.
    Inzwischen hat mich der Lauf meines Lebens genötigt, mich sehr intensiv mit dem Thema Leid zu beschäftigen. „Schmerz ist unvermeidlich. Leiden ist vermeidbar.“ Dass ich diese Erkenntnis gewinnen, heute danach leben und mich als zufriedenen Menschen erleben kann, verdanke ich in einem nicht zu überschätzenden Ausmaß auch den Lehren des Taoismus, Buddhas oder Patanjalis. Ich bin in jedem dieser Texte zwar nur recht oberflächlich belesen, aber ich profitiere sehr von der immer wiederkehrenden Empfehlung, in Phasen der Unsicherheit, der Trauer, des Schmerzes Zuflucht im Studium der Texte größerer Leuchten zu suchen, als man selbst ist. Insofern gilt für mich: Gott sei Dank gibt es gerade im Moment des Schmerzes Texte, die mir etwas zu sagen haben.
    Dieser wunderschöne Auszug aus dem Tao te king gehört für mich ganz besonders dazu. Gibt es schönere Worte des Trostes und der Anteilnahme?

    O Einsamkeit, wie lange dauerst Du?
    Alle Menschen sind so strahlend,
    als ginge es zum großen Opfer,
    als stiegen sie im Frühling auf die Türme.
    Nur ich bin so zögernd, mir ward noch kein Zeichen,
    wie ein Säugling, der noch nicht lachen kann,
    unruhig, umgetrieben, als hätte ich keine Heimat.
    Alle Menschen haben Überfluß;
    nur ich bin wie vergessen.
    Ich habe das Herz eines Toren, so wirr und dunkel.
    Die Weltmenschen sind hell, ach so hell;
    nur ich bin wie trübe.
    Die Weltmenschen sind klug, ach so klug;
    nur ich bin wie verschlossen in mir,
    unruhig, ach, als wie das Meer,
    wirbelnd, ach, ohn Unterlaß.
    Alle Menschen haben ihre Zwecke;
    nur ich bin müßig wie ein Bettler.
    Ich allein bin anders als die Menschen:
    Doch ich halte es wert,
    Nahrung zu suchen bei der Mutter.

    Herzliche Grüße
    sittingfool

    • gitti sagt:

      Vielleicht wäre es hilfreich dem NICHTS mehr Aufmerksamkeit zu geben, auch intellektuell. Denn dieses Nichts ist „nicht nichts“.Im Gegenteil nach dem Aufgeben der Irrtümer sind wir frei uns unserer ureigentlichsten Aufgabe zuzuwenden.
      Ich bin berührt vom Schicksal Sittingfool`s. Immer wieder beobachte ich wie gerade Menschen mit schweren Schicksalen dem Leben und der Wahrheit näher stehen als die sogenannten (Weltmenschen Tao te king) „denn sie halten es wert, Nahrung zu suchen bei der Mutter“.

      Liebe Grüße Gitti

    • Theo Fischer sagt:

      Danke für den Beitrag, Sittingfool. Sie teilen mit Ihrem Leiden das Schicksal von Stephen Hawking, der ja sehr tiefschürfende Beiträge über Fragen des Seins verfasst hat. Ich glaube, gerade daraus erwächst ein machtvoller Ausgleich des Geistes gegenüber dem körperlichen Leiden. Der Spruch von Laotse trifft den Nagel auf den Kopf (in dieser Textfassung ist er übrigens neu für mich, in anderen Übersetzungen liest er sich weitaus nüchterner).
      Eine abschließende Bemerkung noch zum Vermerk, ich würde empfehlen, jede Lehre wegen des Verdachts auf Machtausübung abzulehnen. So ist das nicht gemeint. Ohne die verschiedenen großen Religionen und Philosophien würde die Menschheit auch heute noch wie eine Horde wilder Affen über den Planeten geistern. Wir brauchen diese Regeln für menschliches und ethisches Verhalten unbedingt, ohne diese wäre die Steinzeit noch das Paradies für die Völker. Was ich gelegentlich betone, wenn jemand wirkliche Erkenntnis über sich selber sucht und wünscht, ist die Aussage, dass genau dies einzig und allein beim Individuum selber zu finden ist. Und zwar einfach deswegen, weil zwischen dem Grund der Dinge und der Person nur die Trennung des individuell lebenslang Erlernten steht. Wer imstande ist, diesen für unsere Kultur zwar dringend notwendigen Komplex für einige Sekunden beiseite zu lassen, kann dadurch seiner zweiten, umfassenden Identität emotional begegnen und ist damit im Sinne seiner Suche angekommen. Das ist so schmerzhaft einfach, dass es kaum zu verstehen ist. – Soviel für diesmal. TF

  2. Lieber Herr Fischer,
    letzte Woche wurde mir so ein WU WEI aufgezwungen. Durch einen Lagerungsschwindel konnte ich mich nur ganz langsam und nur mit geringen Kopfdrehungen fortbewegen.
    Nach dem anfänglich erlebten Ärgernis konnte ich aber schon schnell die Situation genießen, weil ich länger bei Beobachtungen verbleiben musste.
    Die seltenen Momente, in denen ICH hinten meinen Spiegel gucken darf, erzeugen ein Gefühl der Auflösung.
    VG David Goebel

  3. Rolf Stohler sagt:

    Das Foto von der Katze auf dem Minibagger ist sehr treffend zum Motto .
    Sie hat einen schönen Mittelscheitel.

    Liebe Grüße aus Ratingen

    Rolf Stohler

  4. Jan Hugo Peter Cloudecharde sagt:

    Hallo, habe erst nach seinem Tod von Theo Fischer gehoert.die leichte Sprache
    der auch ich folgen kann fesselte mich. Eine Anmerkung, nichthandeln
    bedeutet im Tao wie im Chan, Zen , handeln im Nichthandeln bedeutet
    was wir im Westen unter Stiler Post verstehen.
    Jetzt noch ein fuenfzeiler zum verstaendnis der Tao menschen zu sich
    Selbst und ihrer rolle in der welt, frei wieder gegeben
    Ein Tao mensch begegnet in einem wirtshaus einem budo meister
    leider reicht der platz nicht lehrvers folgt, ciao jhp cloudecharde

  5. Jan Hugo Peter Cloudecharde sagt:

    Habt ihr bedenken weil ich chan u. zen erwaehnt

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