Wer sich für östliche Weisheiten interessiert, wird sich bei Gelegenheit auch schon einmal mit dem I Ging-Orakel beschäftigt haben. Es kommt aus China, genau gesagt, aus dem alten China, laut der Legende soll es seine Ursprünge in einer Zeit haben, als noch nicht einmal die Schrift erfunden war. Später gab es dann Aufzeichnungen in der landesüblichen Symbolsprache, an die sich im 19. und 20. Jahrhundert etliche Übersetzer heranmachten. Zu der Schwierigkeit, fremden Schriftzeichen einen Sinn zu geben kam beim I Ging noch hinzu, dass die per Münzwurf ermittelten Pentagramme einen Urteilsspruch verlangten. Was dabei herauskommt, wenn zwei das Gleiche tun, sei Ihnen an einem Beispiel aus dem „wahren Blütenland“ östlicher Literatur demonstriert: Sie finden den Urteilsspruch zum gleichen! Hexagramm, nämlich Nr. 23, wie ihn eine Autorin und ein Autor in ihren Arbeiten zum Besten geben:
Christine Keidel-Joura, S. 149 – Hexagramm 23 Das Ende des Weges: Bringen Sie eine bestimmte Entwicklung zum Abschluss und gönnen Sie sich viel Ruhe
Christopher Markert dagegen hat anderes, ebenfalls auf Seite 149 zu sagen – Hexagramm 23 Po Unsichere Grundlagen: Demgemäß sucht der erleuchtete Mensch seine Untergebenen zu stärken und sichert dadurch seinen Frieden und die Grundlage seiner Position.
Beim Tao te king sind, weniger krass zwar, aber dennoch ähnliche Erscheinungen möglich. Ich besitze etliche Übersetzungen – zum Teil Geschenke aus verschiedenen Quellen – aber es sind keine zwei dabei, deren Texte zu hundert Prozent übereinstimmen. Bei einzelnen Sprüchen braucht es beim Vergleichen mit anderen Übersetzungen sogar eine Weile, bis die Identität von Laotses Aussagen erkennbar wird. Als mildernde Umstände für die Übersetzer wäre zu vermerken, dass viele Übertragungen zuerst in die englische Sprache erfolgten und erst im zweiten Durchgang dann auf Deutsch erschienen sind. Und ich weiß zum Beispiel von Fällen, wo ein Verlag erst einen professionellen Dolmetscher an den Stoff setzte und ihn hinterher noch einem Dichter in die Hand gab, damit dieser für die Schönheit der Sprache sorgte.
Hier sind noch zwei Beispiele zum Tao te king, und zwar beides von Verfassern, deren Texte ich gerne in meinen eigenen Beiträgen verarbeite. Trotz auf der großen Linie übereinstimmender Aussagen klingt Laotses vierter Spruch doch beide Male anders:
Der SINN ist immer strömend.
Aber er läuft in seinem Wirken doch nie über.
Ein Abgrund ist er, wie der Ahn aller Dinge.
Er mildert ihre Schärfe.
Er löst ihre Wirrsale.
Er mäßigt deren Glanz.
Er vereinigt sich mit ihrem Staub.
Tief ist er und doch wie wirklich.
Ich weiß nicht, wessen Sohn er ist.
Er scheint früher zu sein als Gott.
Richard Wilhelm (Übersetzer) Laotse, Tao te king, S. 44
Das Tao ist ein Hohlgefäß,
und sein Gebrauch ist unerschöpflich.
Unauslotbar. Wie der Urquell aller Dinge:
Seine Kanten abgerundet.
seine Schlingen aufgelöst,
sein Licht abgeblendet,
sein Wirbel untergetaucht.
Scheint es dennoch dunkel wie tiefes Wasser zu verharren.
Ich weiß nicht, wessen Sohn es ist,
ein Bildnis dessen, was früher als Gott vorhanden war.
Lin Yutang (Herausgeber) Die Weisheit des Laotse, S. 56
Der kurzen Rede ebenso kurzer Sinn: Ihnen bleibt sehr viel Arbeit für Ihre Instinkte und Ihre Intuition beim Lesen übrig. Die Wahrheit ist in jedem von uns – zum Teil tief versunken und überlagert von Erfahrungseindrücken – vorhanden. Wecken Sie sie auf!
Kann mir eine weitere Stilblüte zum Hexagramm 23 nicht verkneifen, diesmal vom altehrwürdigen Richard Wilhelm, zur Abwechslung auf Seite 101:
„Bo – Die Zersplitterung: Nicht fördernd ist es, wohin zu gehen“
Wenn man weiter im Text liest könnte man auf den Gedanken kommen, dass damit so etwas wie „schicke Dich ins Unvermeidliche“ gemeint ist… aber vielleicht auch nicht 😉
Bo – Die Zersplitterung: Nicht fördernd ist es, wohin zu gehen”
Ich würde wohl meinen, dass diese Übersetzung richtig ist. Mit der Zersplitterung und dem Ratschlag nirgends hinzugehen, weil dies nicht förderlich ist, wird der Zustand beschrieben, dass niedrige Menschen im Zunehmen sind. Heisst, niedrige Menschen (im Geist) erfahren Stärke und ein höherer Mensch (im Geist) würde durch diese Menschen auf irgendeine Art geschädigt werden.
Ich glaube, die Übersetzungen von R. Wilhelm können wohl für die besten angesehen werde. Mehr Verständnis für das Buch der Wandlungen bekommt man, wenn man sich mit dem 2. Buch des I Ging beschäftigt. (Urtexte) Hier fehlen auch die zusätzlichen, manchmal verwirrend umschrieben Zusatzkommentare, wie sie im ersten Buch auftauchen. (rühern wohl vom damaligen Helfer R. Wilhelms bei der Übersetzung) Stattdessen gibt es erklärende Worte zum jeweiligen Strich und der daraus resultierenden Situation. Was in fast allen weiteren mir bekannten Übersetzungen fehlt, ist die Unterscheidung und Kennzeichnung zwischen den „Herren“ der Zeichen. und der damit unterschiedlichen Konstelationen. Das feine Verständnis welches das Orakel für die Wandlungen der Welt vermittelt geht somit komplett verloren.
Obwohl mir Richard Wilhelms Übertragung die Liebste von allen ist, kann ich auf andere Übertragungen bzw. Interpretationen nicht verzichten, ich verwende unter anderem jene von Thomas Cleary, die erste von Carol Anthony ( ihr zweites Werk „Das Kosmische Orakel“ halte ich für misslungen), dann Blofeld, R.L. Wing, das YiJing (mit Konkordanz, Eranos) und andere mehr.
Es zeigt sich gerade beim „Buch der Wandlungen“ dass das Medium Sprache beim Vermitteln dessen, was es uns mitzuteilen vermag, ein sehr begrenztes Werkzeug ist. Dennoch habe ich das Weisheitsbuch seit 2002 rund 130 Mal konsultiert und es ist mir eine ungeheuere Hilfe gewesen in den vergangenen Jahren. Tatsächlich verbirgt sich die Antwort manchmal in nur einer Zeile, wie Theo Fischer schreibt.
Wenn wir dem „Buch der Wandlungen“ eine Frage stellen, tragen wir die Antwort bereits in uns, sie wird durch den Erhalt des jeweiligen Hexagramms oder der beiden Hexegramme soweit verstärkt, dass wir sie vernehmen können.
Vollkommene Fehlinterpretationen des I Ging sind mir nicht bekannt, Frau Keidel-Jouras Version liegt mir allerdings nicht, weshalb ich sie auch nicht verwende.
Das „Buch der Wandlungen“ überwindet wie das „Tao te King“ Kulturunterschiede, Sprachunterschiede, überwindet Jahrtausende durch die ausserordentliche Aussagekraft seines Inhalts.
An Worten darf man beim Verständnis der Bücher nicht kleben bleiben. („Das Tao hat keinen Namen, ich nenne es Tao.“)
Christoph
Wang Bi( 226-249 Ad) hat bis Heute viel beachtete Kommentare zum I GING und zum dao te ching geschrieben.Im vorwort zum I Ging schreibt er bezüglich Interpretation der Hexagramme unter Anderem:
(aus englisch frei übersetzt und gekürzt)
Bilder sind Mittel um Ideen auszudrücken.
Worte sind Mittel um Bilder auszudrücken.
Worte sind vom Bild generiert,so kann einer die Worte bedenken, und kommt
darauf,was das Bild bedeutet.
Um die Bedeutung des bildes hervorzubringen gibt es nichts besseres als Worte.
Da Worte das Mittel sind um das Bild zu erklären,wenn du das Bild hast,
vergiss die Worte.
Wenn Du die Idee hast,vergiss das Bild.
Der Zweck der Hasenfalle ist Hasen zu fangen.
Wenn einer den hasen hat,vergisst er die Falle.
Die Reuse ist da um Fische zu fangen.
Wenn einer die Fische hat, vergisst er die Reuse.
Desshalb:
Wer auf die Worte fixiert ist,wird nicht die Bilder bekommen.
Wer bei den Bildern verharrt,wird nicht die ideen bekommen.
übrigens. Wang Bi wird von manchen Chinesen als Referenzwerk betrachtet.
Viel Spass……Heinz