Erkenntnis II

Es ist einerlei, ob du einen Weg rasch oder langsam gehst.
Der Weg bleibt immer gleich lang.

Zum letzten Beitrag sind ja Kommentare eingegangen, die nicht unbedingt spontanen Beifall ausdrückten zu der Vorstellung, alles Ringen um Erkenntnis auf dem Weg über Dritte sei aussichtslos, weil wahre Einsicht einzig aus dem eigenen Inneren kommt. Damit wollte ich gewiss nicht sagen, jemand solle seinem Bedürfnis nach Informationen über das Sein nicht durch das Studium des vorhandenen Materials nachgehen. Es gibt Millionen Menschen, die auf diese Weise ihr Weltbild gewinnen und, ist es einmal gefestigt, es niemals wieder aufgeben. Mit meinem letzten Beitrag wende ich mich an Menschen, denen es ernst damit ist, die Wahrheit an Stelle eines Denkmodells aus zweiter oder dritter Hand zu finden. Dass jeder Mensch eines Tages zu suchen und zu fragen beginnt, ist nur natürlich und auch gerechtfertigt. Von den Eltern bekommen wir bestenfalls deren Überzeugungen mit. Ihr Lebensstil, ihre Erfolge und Niederlagen geben uns über viele Jahre das Abbild von der Qualität ihres Denkmodells mit auf den eigenen Weg.

Es ist durchaus von Nutzen, sich umfassend über jede Religion oder Philosophie zu informieren – und im Detail sind gewiss viele Lebensweisheiten darin enthalten. Aber die Wahrheit über die eigene Position in der eigenen Erlebniswelt und im ganzen Universum ist darin n i c h t enthalten! Die ist in uns selbst, in der Tiefe angelegt und wartet im Grunde nur darauf, dass wir allen intellektuellen Ballast des erlernten Wissens über uns auf die Seite schieben, damit der Verschluss, der auf unseren unbewussten Einsichten liegt, von seinem Druck befreit wird, der verhindert, dass er sich öffnet.

Die Überschrift, ein Text aus einer östlichen Zitatensammlung, sagt im Grunde aus, dass es unter dem Strich gleichgültig ist, ob jemand zur Erkenntnis Umwege einschlägt oder direkt und geradeaus aufs Ziel zusteuert.

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11 Antworten zu Erkenntnis II

  1. gitti sagt:

    Es geht tatsächlich N u r um diesen „Ernst an der Wahrheit“, denn daraus entsteht der Weg, manchmal auf Umwegen- manchmal direkt. Auf was ich noch draufgekommen bin,die Beliebigkeit sich alle Türen (zum intellektuellen Wissen) offen zu halten, genau diese Halbherzigkeit versperrt den Weg zum Tao. Dieser Übergang vom Wissen zum Sein fällt den Meisten schwer. Das berühmte und so oft falsch benützte Wort „Loslassen“ hat hier seine Berechtigung.
    Einen schönen Sonntag Gitti

  2. Taononymus sagt:

    Lieber Herr Fischer,

    Wissen, egal in welcher Menge angehäuft, hat allein von sich aus weder Kraft noch Gewicht noch Sinn. Es bewegt oder bewirkt rein gar nichts in einem Menschen, solange es nicht von tieferen seelischen und emotionalen Entwicklungen aufgegriffen und genutzt wird. Für solche Entwicklungen ist Wissen aber bestenfalls eine Unterstützung, keinesfalls jedoch Ursache oder Antrieb. Auch das Wissen darum, daß wahre Erkenntnis nur aus einem selbst heraus kommen kann, teilt leider dieses Schicksal der Ohnmächtigkeit aller Wissensinhalte.

    Läßt man einmal die ganze Macht- und Wirkungslosigkeit allen Wissens auf sich wirken, so wird aber auch die Umkehrung deutlich: Wissen ist ebenfalls nicht in der Lage, jahre- und jahrzehntelang den Druck auf jenen Verschluß aufrecht zu erhalten, der einem Menschen den Zugang zu seinem inneren Reichtum versperrt.
    Denn auch um einen solchen Schaden anzurichten braucht es weit wirkungsvollerere seelische Vorgänge als es die Anhäufung von Informationen und das Forschen über Philosiphien und Religionen jemals sein kann.

    Ein Beispiel für solche viel wirkungsvolleren „Methoden“ hat Maria ja in ihrem Beitrag gezeigt: die psychischen Manipulationen religiöser Organisationen an Kindern und Jugendlichen hinterlassen bei den davon Betroffenen Menschen Abhängigkeiten, an denen jedwedes Wissen abtropft wie Regen an der Glasscheibe eines Fensters.
    Und später im Erwachsenenleben ist es dann ebenfalls NICHT intellektuelles Wissen um die Lehre der jeweiligen Religion, das diese Abhängigkeiten zementiert. Sondern es sind die ehemals manipulativ ins kindliche Gemüt eingepflanzten, später unbewußt weiter wirkenden, seelischen und emotionalen Nöte, die auch beim Erwachsenen noch ausreichend Druck auf den Verschluß zu seiner eigenen inneren Tiefe auszuüben vermögen.

    Aufgrund seiner Wirkungslosigkeit ist es also weder mit der Nützlichkeit noch mit der Schädlichkeit des Wissens sonderlich weit her. Und doch ist es in weiten Bereichen unserer Gesellschaft Mode und offensichtlich auch hier auf diesem Blog ein sich mittlerweile gebetsmühlenartig wiederholender Refrain, Wissen als DIE Blockade auf dem „Weg zu sich selbst“ schlechthin zu verteufeln, manchmal gar von Leuten, die davon gewiß nicht so viel aufgehäuft haben, als daß es sie bei irgendwas blockieren könnte.

    Die Geschichte von der Schatzsuche des Juden Isaak gefällt mir unter anderem auch deshalb, weil das fruchtlose Eindreschen auf’s leere Stroh des Wissens darin keine Rolle spielt. Statt dessen wird in ganz einfachen Bildern auf das Wesentliche hingewiesen. Und viel mehr noch hat das Beispiel, das Maria aus ihrem eigenen Leben hier beigesteuert hat, aufgezeigt, wo die wahren Ursachen dafür zu suchen sind, wenn einem Menschen der Zugang zu sich selber sehr lange verschlossen bleibt.

    In fände es schade, wenn solche Anregungen im in unserer Gesellschaft beinahe schon rituell verpflichtenden aber an der Sache leider völlig vorbei gehenden Wissenshass untergehen.

    Viele Grüße ins Piemont,
    Taononymus

    • JE sagt:

      Lieber Taononymus,

      mich würde noch interessieren, was Sie unter „Wissenshass“ verstehen.
      Ich jedenfalls kann keinen entdecken, sehe auch hier auf dieser Baustelle keine Tendenz – was ich auf dieser Baustelle finde, sind Menschen, die Interesse haben, Interesse zeigen… und das ist für mich gleichbedeutend mit dem Streben nach Wissen, mit Suchen, mit Anteilnehmen, Erkennen….

      Wenn es um (Selbst-) Erkenntnis geht, so kann diese allerdings und letztendlich nur aus dem jeweiligen Selbst kommen, auch wenn wir, wie zumeist, den entscheidenden Impuls aus dem „Außen“ brauchen, um unser „Innen“ (unser Selbst) zu finden. Das ist eine meiner ‚Erkenntnisse‘.

      Herzlichst
      JE

    • A.B. sagt:

      Lieber Taononymus,

      den Bezug zum Text von Herrn Fischer kann ich in Ihren Ausführungen nicht finden. Sie führen hier eine Diskussion, die in keinem Zusammenhang mit den Texten und Denkanstössen diese Seite stehen.

      Beste Grüße
      A.B.

    • Taononymus sagt:

      p.s.: ich beziehe mich auf folgende Aussage aus Herrn Fischers Text oben, Zitat:

      „…Die ist in uns selbst, in der Tiefe angelegt und wartet im Grunde nur darauf, dass wir allen intellektuellen Ballast des erlernten Wissens über uns auf die Seite schieben, damit der Verschluss, der auf unseren unbewussten Einsichten liegt, von seinem Druck befreit wird, der verhindert, dass er sich öffnet. …“

      Da in diesem Zitat wortwörtlich vom „intellektuellen Ballast des erlernten Wissens“ die Rede ist, habe ich den Eindruck gewonnen, daß genau das, was da steht, auch damit gemeint ist. Und ja, diese Aussage empfinde ich zum einen als in der Sache falsch und zum anderen als wissensfeindlich. Wobei mir ersteres (in der Sache falsch) deutlich wichtiger ist als letzteres (wissensfeindlich).
      Meiner Ansicht nach wird hier auf einen gesellschaftlich wohlfeilen Sündenbock (= erlerntes Wissen) eingedroschen, anstatt die wirklichen Ursachen für Blockaden (Abhängigkeiten, Prägungen etc. ) zu benennen.

      Lieber Herr Fischer, ich war selbst überrascht davon, diese für mein Empfinden relativ krasse Aussage aus Ihrer Feder hier zu finden, insbesondere da ich von Ihnen weiß, dass Sie selbst neben tiefen eigenen Erkenntnissen auch sehr viel intellektuelles Wissen angehäuft haben.

      Viele Grüße,
      Taononymus

      • gitti sagt:

        Hallo Taononymus!
        Ehrlich gesagt Dein Kommentar zumThema Erkenntnis II war für mich ziemlich verletzend. Du schreibst, daß einigeMitglieder der Taobaustelle „nicht viel intellektuellen Ballast hätten…..“
        auf gut deutsch gesagt zu dumm. Dabei geht es meines Erachtens im TAO den Grund der Dinge zu erfahren und da behindert eben intellektuelles Wissen. Hohe Bildung,viel Wissen ist an sich weder gut noch böse. Nur au dieser Seite geht es um ganz etwas ANDERES.
        Gitti

        • Taononymus sagt:

          Liebe Gitti,

          es überrascht mich, dass gerade Du den von Dir zitierten Nebensatz auf diese Weise auf Dich selbst beziehst. Ich habe versucht, ihn möglichst allgemein zu halten, eben damit kein bestimmter Leser hier sich persönlich angesprochen fühlen muss.

          Ja, es ist ein kritischer Satz. Aber es gibt eigentlich mindestends zwei Möglichkeiten, mit kritischen Äußerungen umzugehen, wenn man sie doch einmal persönlich genommen hat.

          Die eine wäre, sich selbst zu fragen: „Warum baue ich ausgerechnet DARAUS einen Schuh und ziehe ihn mir auf diese Weise auch noch an?“ Oder: „Warum gehe ich überhaupt davon aus, dass so etwas eine PERSÖNLICH gemeinte Spitze gegen irgend einen bestimmten Leser oder gar gegen mich selbst ist?“

          Die andere Möglichkeit besteht darin, den Text so zu verdrehen, daß dem Schreiber in vorwurfsvoller Verletztheit Böswilligkeit unterstellt werden kann, wie Du es meinem (persönlichen und subjektiven) Empfinden nach hier tust. Und so etwas beendet natürlich wirksam jeden KRITISCHEN Austausch.

          Letzterer birgt immer das Risiko, dass einzelne Beteiligte von der allgemeinen Ebene auf die persönliche umschalten.
          Insbesondere hier im Schriftlichen ist es schwer, etwas so sicher allgemein formuliert zu halten, dass solche Reaktionen hunderprozentig ausgeschlossen werden können.
          Kommt eine Diskussion dann an diesem Punkt an, so stellt sich regelmäßig die Frage: wollen die Beteiligten überhaupt eine Diskussion haben, die auch KRITISCHE Beiträge mit einschließt?

          Viele Grüße,
          Taononymus

          • Theo Fischer sagt:

            Wissen, Information und alles Erlernte sind lebensnotwendig – ich predige doch nicht die kollektive Verdummung als Preis für Erkenntnis!!
            Der offenbar sehr feine Unterschied zwischen Wissen, Intellekt und Erkenntnis besteht schlicht darin, dass alles Wissen samt allen Lebenserfahrungen gesammelt und im Gehirn für zweckmäßigen Einsatz gespeichert werden.
            Das Phänomen Erkenntnis, wie Laotse oder Chuang tzu es verstehen, ist im Menschen – und höchstwahrscheinlich in jedem Lebewesen bis hin zur Taufliege – angelegt und wird nur von anders lautenden und geglaubten Informationen über den Sinn der Dinge überlagert. In diesem Sinne versteht ein Eichhörnchen möglicherweise den Sinn seiner Existenz instinktiv besser als jeder hoch gebildete Intelektuelle.

  3. Matthias sagt:

    Seit Erscheinen des ersten Beitrags über Erkenntnis juckt es mich in den Fingern, einen Kommentar zu schreiben. Ich konnte bisher aber nicht auf den Punkt bringen, was mich bewegt. Also habe ich erst einmal mein Wissen über Wissen und Erkenntnis etwas aufgefrischt (u.a. mittels Wikipedia) und die anderen Kommentare verfolgt.

    Bis ich heute morgen etwas erkannte – im von Herrn Fischer erwähnten Sinn ganz aus mir heraus, aber gestützt auf früher mal angelesene Erkenntnisse anderer, die jedoch mittlerweile in die ganz dunklen Ecken des Gedächtniskellers weggeräumt waren 🙂

    Unsere Sprache verleitet uns immer wieder dazu, etwas als (eigenständige) Sache zu betrachten, was es im Grunde nicht ist. Dadurch entstehen häufig Missverständnisse.

    Die Verwendung der Substantive „Wissen“ und „Erkenntnis“ verdeckt, dass es eigentlich um Aktivitäten geht, die immer sehr persönlich sind. Was wir wissen, haben wir gelernt. Sei es der Umgang mit Gabel und Messer, die Reparatur eines Autos oder die Infinitesimalrechnung.
    Im besten Fall wissen wir nicht nur etwas, sondern verstehen es (in der Schule habe ich z.B. Infinitesimalrechnung gelernt, verstanden habe ich sie nie). Und aus verstehen entsteht erkennen (von grundlegenden Zusammenhängen). Insofern beruht meiner Meinung nach erkennen immer auf wissen.

    All das ist aber untrennbar mit mir als dem Lernenden, Wissenden, Verstehenden, Erkennenden verbunden. Ich bin es, der weiß und erkennt. Und von daher muss ich Taononymus widersprechen: was ich weiß, hat für mich sehr wohl Kraft, Gewicht und Sinn. Ich habe es mir angeeignet. Es kann Ballast sein oder nicht, mir Kraft geben oder nehmen, und es hat (mehr oder weniger) Sinn, indem es auf meine Werte bezogen ist.

    Es ist meines Erachtens auch nicht das Wissen, das Erkenntnis blockiert. Es ist eher der Reflex, richtige Antworten auf Fragen und Probleme zu finden und zu geben.
    Wir haben eine Kultur des Antwortens. Der Schwerpunkt all unserer Ausbildungen, selbst der universitären, liegt im Geben richtiger Antworten.
    Was wir aber brauchen, ist eine Kultur des Fragens. Zu Erkenntnissen komme ich nur, wenn ich die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stelle oder überhaupt Fragen stelle bzw. stellen darf.
    Was die „richtige“ Frage zur „richtigen“ Zeit ist, kann nur jeder für sich entscheiden.

    Zum lernen und wissen gehört auch vergessen.
    In den letzten Jahren erlebe ich immer stärker, dass ich vieles von dem, was ich mal gelernt habe, vergessen habe, einfach weil es keine Relevanz für mein aktuelles Leben hat (s. Infinitesimalrechnung). Das betrifft sogar berufliche Dinge.

    Auf der anderen Seite erlebe ich mit Erstaunen, wie auf einmal Situationen oder Sachverhalte wieder auftauchen, die vergessen schienen.

    Herzliche Grüße,
    Matthias

    • Taononymus sagt:

      Lieber Matthias,

      es ist schon erstaunlich und oft erheiternd wie gründlich schriftliche Kommunikation missverstanden werden kann 🙂
      Einen Nebensatz weggelassen, und schon kann man das genaue Gegenteil von dem lesen, was der Schreiber eigentlich ausdrücken wollte.

      Aus „Wissen, egal in welcher Menge angehäuft, hat allein von sich aus weder Kraft noch Gewicht noch Sinn.“ wird durch Weglassung von „allein von sich aus“ dann so etwas wie „Wissen, egal in welcher Menge angehäuft hat grundsätzlich weder Kraft noch Gewicht noch Sinn.
      Und auch im folgenden Satz „Es bewegt oder bewirkt rein gar nichts in einem Menschen, solange es nicht von tieferen seelischen und emotionalen Entwicklungen aufgegriffen und genutzt wird“ muss die längere zweite Hälfte „solange es nicht von tieferen seelischen und emotionalen Entwicklungen aufgegriffen und genutzt wird“ gründlich überlesen werden, um dann so etwas wie „Es bewegt oder bewirkt grundsätzlich nichts in einem Menschen“ herauslesen zu können.

      Also, ich erlaube es mir jetzt einmal, Deinen Widerspruch gegen das Gegenteil dessen was ich meinte geschrieben zu haben als Zustimmung zu interpretieren 🙂

      Übrigens, die „Werte“, die Du erwähnst, sind meiner persönlichen Ansicht nach Paradebeispiele für solche „tieferen seelischen und emotionalen Entwicklungen, die Wissen aufgreifen und nutzen“ und dem Wissen so Kraft und Sinn verleihen. Mit positivem oder negativem Vorzeichen, je nachdem.

      Nun, vielleicht habe ja jetzt auch ich Deinen Beitrag vollkommen falsch gelesen… so was kann durchaus passieren 😉

      Viele Grüße,
      Taononymus

      • Matthias sagt:

        Lieber Taononymus,

        ich habe soeben nach Lesen deiner Antwort entschieden, montags vormittags keine Kommentare mehr zu schreiben.
        Ganz offensichtlich sind mir die entscheidenden Nebensätze beim Drechseln meiner Formulierungen „aus den Augen, aus dem Sinn“ verschwunden. Man sieht eben nur das, was man sehen will 🙁

        Ich nehme also meinen Scheinwiderspruch mit dem Ausdruck größten Bedauerns zurück und genehmige die Interpretation als Zustimmung 🙂

        Herzliche Grüße,
        Matthias

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