Gedanken über den Glauben

oder wäre „Gedanken über d a s Glauben“ besser ausgedrückt? Reden wir, wenn wir das Wort „Glauben“ verwenden von dem Phänomen, das Marie von Ebner-Eschenbach so formulierte: Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, dann ist es der Glaube an die eigene Kraft? Ich habe im Lauf der letzten zweieinhalb Jahrzehnte in meinen Schriften verschiedentlich zu diesem Thema Stellung genommen und bevorzugt Äußerungen von Krishnamurti oder Alan Watts zitiert. Der erstere hielt überhaupt nichts von Gläubigkeit, Watts formulierte es ähnlich, aber ihm unterstelle ich, gleich was er gesagt haben mag, eigentlich, dass er im Herzensgrund ein gläubiger Mensch gewesen ist.

Meine persönliche Geschichte des Glaubens ist kurz: von einer bigotten Mutter zu zwanghaftem Glauben an Irrationales erzogen, brauchte ich Jahre, diese Last abzuwerfen. Mit der Konsequenz, dass ich entschlossen war, niemals wieder irgendeine Lehre zu glauben. Aber ist damit der Begriff Glauben ausgeschöpft und hat sich erledigt? Wieder einmal ist unsere Sprache zu armselig, ein Wort wie dieses in seiner ganzen Bandbreite zu erklären. Gut, ich könnte Glauben durch Vertrauen ersetzen und Ebner-Eschen-bachs Text in „Vertrauen in die eigene Kraft“ umdeuten. Doch damit träfe ich nicht die Wahrheit. Tatsächlich sind wir alle, wie immer wir in Sachen Religion und Gott eingestellt sein mögen, auf ein gerütteltes Maß an Glauben angewiesen, wenn wir im Leben und in unseren Beziehungen überhaupt zurecht kommen wollen.

Im innersten Bereich unserer Psyche wird die Fähigkeit zu glauben zu einer überaus wichtigen Dimension. Denn ohne die emotionalen Gewissheiten, welche uns der Glauben an bestimmte Dinge gibt, wäre unser Leben so sehr und so kontinuierlich von Gefühlen der Unsicherheit bestimmt, dass wir kaum noch handlungsfähig wären. Der Glauben an die Zahlungsfähigkeit meiner Bank zum Beispiel: nach den zum Teil kriminellen Krisen fällt es schwer, aber da der Glauben an die Sicherheit meines Sparstrumpfes voller Bargeld noch fragwürdiger ist, habe ich eigentlich gar keine Wahl, als mich eben für den Glauben zu entscheiden, dass meine Banker nicht ganz so liederlich wie ihr Ruf sind. Oder in unseren privatesten, intimsten Beziehungen. Wie kämen wir ohne den Glauben an die Treue, Loyalität und Zuverlässigkeit des anderen aus? Sobald sich hier Misstrauen einschleicht, sobald ich emotional wankelmütig würde, wäre dies bereits der Anfang vom Ende eines Glücks. Auch der Glauben an das Funktionieren von Gebeten, insbesondere, wenn es um die Genesung von Krankheiten geht, zeigt Wirkung. Zwar findet in diesen Fällen kein Eingriff von höherer Hand in das Immunsystem des Kranken statt, aber der Glaube an Genesung selbst, setzt diese Kräfte in Bewegung.

Je mehr wir in das Thema eindringen, desto deutlicher wird: Es gibt eigentlich überhaupt keinen Lebensbereich, in dem wir ohne Glauben auskommen würden. Und ich rede hier nicht von phantastischen, irrationalen Schwärmereien, sondern von unserer unmittelbaren Beziehung zur vorhandenen Realität. Wir brauchen unseren Glauben im Alltag. Hier entsteht erst durch ihn die Stabilität, die uns die Kraft zum Entscheiden und Handeln gibt. Und in dieser umfassenden, niemals wankenden Einstellung dominiert der alles entscheidende Glauben an die eigene Kraft. Und der ist in der Tat fähig, Berge zu versetzen.

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5 Antworten zu Gedanken über den Glauben

  1. waelti sagt:

    Sehr schöner Artikel, vielen Dank.

    Das Bigotte habe ich nicht ganz so direkt erfahren, kennen tu ich es aber schon. Oder, meinetwegen, ich meine es zu kennen. Vielleicht beginnt schon da der „Glaube“?

    Selbst Atheist (wirklich!) lese ich hier sehr gerne. Und an vielen anderen Plätzen, wo es um Glaube und Spiritualität geht. Vielleicht aus einem ähnlichen Grund wie Sie, das „Es gibt eigentlich überhaupt keinen Lebensbereich, in dem wir ohne Glauben auskommen würden“ sehe ich auch so. Obwohl ich, am Absatzanfang ersichtlich, da widersprechen sollte 🙂

    Am Glauben an die eigene Kraft arbeite ich noch. Manchmal sollte es, gefühlt, ein bisschen mehr werden. Andersrum kommt leider auch vor.

    Ihnen und den Lesern ein schönes Wochenende!

  2. alexandra gudelius sagt:

    Das Vertrauen in die Fähigkeiten meiner Kinder,
    ist die Folge meines Glaubens an mich selbst.
    Durch diese schwere“Prüfung des Prozesses“,gelange
    ich blohnend zu mir Selbst.

    • Gitti sagt:

      Der Glaube an die eigene Kraft geht Hand in Hand mit einem gesunden Selbstvertrauen. Wie wohl tun uns Menschen, die ohne sich selbst zu überschätzen das „Richtige“ tun. Ich merke an mir selbst wenn ich mich sozusagen auf mich verlassen kann und die richtigen Entscheidungen im Alltag treffe wie sicher mich das macht. Letzten Endes ist es immer wieder die Selbsterkenntnis die uns frei macht.
      Liebe Grüße Gitti

    • Taononymus sagt:

      Lieber Herr Fischer,

      auch mir kommen Vertrauen und Glauben vor wie rechtes Bein und linkes Bein. Man braucht eigentlich beide dringend, um seinen Weg zu gehen.

      Wenn ich aber einmal versuche, der Vielfalt der feinen Unterschiede nach zu spüren, die die Sprache uns durch das Vorhandensein zweier so eng verbundener und doch verschiedener Begriffe bewusst machen kann, dann scheint mir Vertrauen eher einer mehr intuitiven, emotionalen Seite der menschlichen Psyche zu entsprechen, während Glauben ein mehr geistig oder gar intellektuell besetztes Gebiet ist.

      Wie die beiden Beine auf der rein körperlichen Ebene letztlich EINEM vorwärts gehenden Körper angehören, so ist natürlich auch Emotionales und Geistiges tief miteinander verflochten. Mal „steht“ man mehr auf einem intuitiv vorhandenen Sicherheitsgefühl eines gesunden Vertrauens ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, mal liefert eher der Glaube an eine durchaus bewusste Grundüberzeugung im geistigen Bereich den festen Stand für den nächsten Schritt.

      Aber wichtiger als alle Unterscheidungen zwischen Vertrauen und Glauben ist für mich die Frage, WO BEIDE verankert sind. Und das ist glaube ich auch der Punkt, um den es Ihnen oben eigentlich geht. Sind beide in MIR verankert, vertraue ich mir und/oder glaube ich an EIGENE selbst gewonnene Überzeugungen? Oder bin ich in diesen BEIDEN Bereichen von äußeren Umständen, anderen Menschen, deren Verhalten oder Ansichten abhängig?
      Mit anderen Worten, gehe ich meinen Weg auf meinen eigenen Beinen oder bin ich lieber mit den bequemen Ersatzprothesen oder „goldenen Kutschen“ geistig-emotionaler Abhängigkeiten unterwegs?

      Ich finde, diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten. Aber spätestens wenn das Leben einen einmal vor etwas größere Herausforderungen stellt als beispielsweise die Durchführung einer Urlaubsreise, wird sich jeder Einsatz auszahlen, den man in Verwurzelung und Verankerung von Vertrauen und Glauben in sich selbst investiert hat.

      Viele Grüße,
      Taononymus

  3. JE sagt:

    – ich denke dieser Glaube, der hier gemeint ist und der nichts mit einer religiösen Glaubenslehre gemein hat, ist ohne VERTRAUEN nicht denkbar.
    „Glauben“ ist daher aus meiner Sicht im ‚Wortsinne‘ nahezu bedeutungsgleich mit Vertrauen: Vertrauen in das Leben, in Situationen, in Menschen…. und in sich selbst. Allzu oft ist dieses Ur-Vertrauen aber bereits zerstört, durch unsere (angst-basierten) Erziehungen oder Erfahrungen, usw. und es ist dann ein langer Weg zu diesem Vertrauen/Glauben (zurück) zu finden.
    Hierin liegt auch der entscheidende Unterschied zu den religiösen Glaubenslehren, die uns Glauben und Vertrauen dogmatisch eintrichtern wollen, ‚wahres‘ Vertrauen – das heißt, der Glaube an sich selbst, an Andere und an das Leben- hingegen kann sich nur aus uns selbst heraus entwickeln. Dieses Vertrauen ist ebenso auch die Basis für Liebe – gleich in welchem Sinne: zum Leben, zu den Menschen, zu sich selbst.

    Wo Vertrauen -sprich Glaube in diesem Sinne- fehlt, kann es zudem keine Liebe geben, dort ‚haust’ zwangsläufig Angst.
    Angst hat nämlich nur dort ‚Raum’, wenn Glauben und Vertrauen ‚keinen Platz‘ in unserem Leben haben.

    Ich wünsche uns allen, dass wir diesen Glauben entwickeln bzw. bewahren können.

    Herzlichst
    JE

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