Ja, ich weiß, Malen wird heute bei jeder Gelegenheit eingesetzt, gleich, ob es sich um störrische Kinder handelt, Patienten einer Nervenheilanstalt oder einfach um die Kundschaft von Lebensberatern und Psychotherapeuten. Und tatsächlich ist Malen ein Ausdrucksmittel, mit dem sich gequälte Menschen vom inneren Druck befreien können, indem sie das, was sie bedrückt, einem Stück Leinwand, Pappkarton oder einem Holzbrett anvertrauen.
Ich will Ihnen hier kurz und knapp skizzieren, wie Sie den auf Ihnen – aus welchen Gründen immer – lastenden Druck nach außen leiten und sich so von ihm befreien können. Wenn eine Galerie einen Maler der Phase ausstellt, in dem Impressionismus stark von abstrakten Einschüben des Künstlers geprägt ist, wird so gut wie immer davon die Rede sein, wie der Protagonist seine inneren Kämpfe und sein Ringen in seinen Werken zum Ausdruck brachte. Die menschliche Psyche hat sich seitdem nicht verändert – noch immer ist eine voll gepinselte Fläche d a s Mittel, um auf dem Gemüt lastende Spannungen auf direktem Wege abzuleiten und sich ergo davon zu befreien.
Was immer Sie bedrückt – Burnout, Überlastung im Beruf oder im Privatleben – der Griff zu Farbe und einer Malfläche kann helfen. Und Sie brauchen dazu keine kostspielige Ausstattung. Als Malfläche können Sie Pappkarton ebenso verwenden wie ein dünnes Sperrholzbrett oder einfach Packpapier. Und ein oder zwei kleinere Flachpinsel reichen aus. An Stelle einer Palette benutzen Sie Pappteller, und Acryl-Studienfarbe bekommen Sie billig in jedem Baumarkt.
Wenn Sie dies alles beisammen haben, kann es losgehen: Setzen Sie sich vor Ihre Malfläche und pinseln Sie zuerst mit schwarzer Farbe und dem kleineren Pinsel irgendwelche Dinge aufs Papier. Das können Häuschen sein oder etwas, das wie Bäume aussieht oder Sterne oder irgendwelche undefinierbaren Tiere mit vier Strichen als Beine. Auch Fratzen oder Masken passen in dieses Gekritzel gut hinein. Sie skizzieren auf, wonach Ihnen gerade der Sinn steht. Und es gibt keine Forderung nach Genauigkeit. Denken Sie an Ihre einstigen Kinderzeichnungen. Im Geiste dieser frühen Versuche sollten Ihre Pinselskizzen ausfallen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass der Malgrund ausreichend voll gezeichnet ist, mischen Sie sich ein paar Farben und kolorieren das Ganze. Und zwar auch diesmal wieder frei nach Gefühl und Neigung. Es geht hier absolut nicht um Schönheit – es geht einzig darum, dass Sie aus Ihrem bewussten und unbewussten Sinn heraus Dingen Ausdruck geben, für die Sie keine Worte finden.
Je hemmungsloser und ohne Nachdenken Sie diesem Malvergnügen nachgehen, desto stärker wird sich der Effekt einer inneren Befreiung, einer Entlastung vom Druck einstellen. Sie werden beim Betrachten Ihres fortschreitenden Werkes zunehmend spüren, wie Ihnen leichter ums Herz wird. Und – dies sei nochmals betont – es ist absolut unwichtig, wie Ihr Werk am Ende ausschaut. Das mag verzweifelt der Pinselei eines jungen Schimpansen gleichen oder dem Gemälde eines Elefanten im Zoo: entscheidend ist, dass Sie in alle Zeichnungen, in alle Farbe die Gefühle des Druckes hineinlegen, der auf Ihnen lastet und der Sie erst zu dieser Maßnahme des Malens veranlasst hat. Wenn es ein Mal funktioniert hat, werden Sie nicht mehr darauf verzichten wollen. Und wer weiß: vielleicht werden auf diese spontane Weise kleine Kunstwerke entstehen, die Sie gar nicht eingeplant hatten.
Übrigens: wir bieten auf La Costa das Malen als Stressabbau ebenfalls an. Wer sich bei uns erholen will, darf gerne auch die Malkur machen – an fachkundiger Anleitung wird es nicht fehlen.
Fragen zu Stressabbau und Malen
Meine Beiträge zum Blog bekommt zuerst Sabine zu lesen, die sie dann – oft nach kritischer Prüfung – einschaltet. Den Text über Stressabbau durch Malen hat sie kritisiert. Sie meinte, der Beitrag hätte nichts mit dem Tao zu tun, und schließlich hätten wir es hier ja mit der Taubaustelle zu tun und nicht mit einem Blog für theoretische Psychologie. Stimmt – und stimmt auch wieder nicht. Ich hätte natürlich erwidern können, es gäbe nichts, was das Tao nicht ist, aber das wäre doch eine zu billige Entgegnung gewesen. Also suchte ich eine alte Arbeit von mir heraus, nämlich „Das Tao in der chinesischen Malerei“. Der folgende Auszug aus dem Text des Aufsatzes soll meine Entgegnung sein. Wenn Sie dennoch mit Sabine der Meinung sind, das Tao käme zu kurz, dann können Sie ja einen Kommentar dazu abgeben.
Ich darf Chang Chung-yuan zitieren: Die schöpferische Intuition des Malers dringt durch die äußere Schale der Dinge zu ihrer inneren Wirklichkeit vor. Er erfährt die abbildlose, wortlose, klanglose unberührte Ursprünglichkeit der Natur und kann deshalb ihre unsichtbare wesentliche Schönheit für die Sinne durch Rhythmus, Form und Farbe fassbar machen. Ein Tao-Gemälde könnte man als spontane Reflektion aus der eignen inneren Wirklichkeit definieren, ungebunden durch willkürliche äußere Regeln und unverzerrt durch innere Verwirrungen und Begrenzungen. In dieser spontanen Reflektion werden die eigenen Kraftreserven freigesetzt und die große schöpferische Kraft äußert sich ohne künstliche Bemühungen. Die Methode der Nicht-Methode in der Malerei ist die Anwendung der taoistischen Philosophie. Tao ist die Erfahrung des Seins, in der subjektive und objektive Wirklichkeit in Eins verschmilzt. Die Einswerdung findet nicht im bewussten Bereich und nicht durch einen logischen Prozess statt, sondern es ist die innere Erfahrung, von der Chuang tzu spricht, wenn er sagt, „Himmel und Erde werden mit mir geboren und alle Dinge und ich sind Eins“. Diese Einheit in der Vielfalt ist unsichtbar, unergründlich und spontan.