Trauerarbeit

Der folgende Beitrag wäre eigentlich erst zu Allerheiligen angebracht, aber aus aktuellem Anlass bringe ich ihn schon heute. Eine junge Frau, Feriengast und Leserin, berichtete mir heute in einer Mail vom unerwarteten, tragischen Tod ihres Lebensgefährten – den ich ebenfalls kannte. Sie wollte wissen, wie sie im Sinne des Tao damit umgehen solle. Die Frage nach dem Verarbeiten von Schmerz und Verlusten stellt sich auf vielerlei Ebenen des Seins. Und darum lasse ich alle, die es interessiert, wissen, was ich als Antwort geschrieben habe:

„Du fragst mich nach Trauerarbeit aus taoistischer Sicht. Da heißt es, mit den Dingen gehen, also sich mit dem jeweils akuten Geschehen zu bewegen, und zwar intellektuell ebenso wie emotional. In Klartext: Lasse alle deine Gefühle zu, spüre sie und unternimm keinen Versuch, sie in irgend einer Richtung zu manipulieren,. Schmerz und Trauer werden zu Anfang heftig sein. Aber Gefühle verhalten sich wie der Klang einer Glocke. Der Ton schwingt zu seiner Höhe auf – und klingt dann aus. Ebenso erhebt sich das Gefühl der Trauer, des Verlustes empor. Aber wenn du nichts daran zu manipulieren versuchst oder Fluchtreflexe einsetzt, wird der Schmerz jedes Mal, nachdem du ihn zugelassen hast, ausklingen. Diese Gefühle werden in der ersten Zeit oft wiederkehren. Aber wenn du sie im gesagten Sinne zulässt, wird der metaphorische Glockenton nach und nach seine Höhe verlieren, wird flacher verlaufen – und auch die Abstände, in denen der Schmerz anklingt, werden größer werden. Normalerweise ist die leidvolle Phase nach einem Jahr ausgestanden. Einen entscheidenden Punkt darfst du freilich nicht vergessen: du musst den Verlust akzeptieren,– du darfst ihn nicht zurückhaben wollen, gib ihn frei. Menschen, die weiterhin anklammern, können eine Trauerphase über Jahrzehnte hin ausdehnen. Du kannst dem Schmerz nicht ausweichen. Er will ausgelebt werden. Aber in den Phasen, da du ihn zulässt, wirst du zusätzlich den Zufluss neuer Energien spüren – die sich aus dem Grund der Dinge in dir bewegen.“

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2 Antworten zu Trauerarbeit

  1. JE sagt:

    Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, lieber Theo,
    es ist in einer solch schmerzlichen Situation sehr schwierig, die richtigen Worte zu finden – eigentlich gibt es „die richtigen Worte“ selten, mit denen wir jenes tiefes (Mit-) Gefühl zum Ausdruck bringen können.
    Oftmals, und das kann ich aus eigener schmerzvoller Erfahrung sagen, ist es für den/die Trauernden kaum vorstellbar oder denkbar, dass sie jemals über diesen Verlust hinwegkommen (können).
    Wichtig und das ist sehr richtig, was Du schreibst lieber Theo, ist es, diese Trauer mit all ihrer Heftigkeit und Verzweiflung herauszulassen, nur so – in diesem direkten Erleben und Ausleben- lässt sich das wiederfinden, was das Überleben erträglich macht und neue Energien entstehen lässt.
    Ich habe einmal vor vielen Jahren für eine mir sehr nahestehende Person ein Gedicht geschrieben, in einer ähnlich –auch von mir so empfundenen Trauer – geschrieben, das ich nun (nach kurzem Ringen mit mir) hier im Blog veröffentlichen möchte, in der Hoffnung, dass es vielleicht, vor allem Ihnen, liebe Trauernde, doch ein wenig Trost geben kann:

    Nie mehr –

    Nicht (be-) greifbar.

    Unwiederbringlich .

    Unabänderbar.

    (Deshalb auch) So schmerzlich.

    Vermisse Dich.

    Ist Unerträglich.

    Fast –

    Denn:

    Die gute Zeit gehabt zu haben:

    Unvergesslich. Schön.

    NIE MEHR, und von Niemandem, zu nehmen.

    Bleibt.

    In mir.

    Für immer.
    JE ,Aug./2004

  2. Taononymus sagt:

    Hallo Ihr,

    an das, was Theo Fischer und JE bezüglich der Verarbeitung von Trauer durch den Trauernden selbst geschrieben haben kann ich mich nur ohne weiteren Kommentar anschließen.

    Ein ergänzender Aspekt wäre vielleicht noch eine Frage an das jeweilige Umfeld von Trauernden, nämlich wie wir mit ihnen umgehen. Wie viel emotionalen Raum geben wir Trauernden denn wirklich als Familienmitglieder, Freunde, Kollegen, oder Vorgesetzte für IHRE persönliche Art zu trauern in dem konkreten Einzelfall? Wieviel „Energie“ sind wir wirklich bereicht zu „spendieren“, wenn jemand aus dem Umfeld eine schwere Trauerkrise durchmachen muß?

    Wie oft fragen wir nicht weiter nach sondern erwarten nach einer bestimmten von uns selbst einseitig so empfundenen Zeitspanne, dass der Andere jetzt so langsam aber wirklich mal allein damit „klar kommen muss“ anstatt erst einmal hinzuschauen wie der Trauernde selbst es empfindet?
    Wie oft geben wir stattdessen reflexhaft zu verstehen, dass unsere Bereitschaft zuzuhören begrenzt ist, wenn die für UNS selbst als richtig empfundene Zeitspanne dafür herum gegangen ist… aber ist das wirklich angemessen um Umgang mit der Trauer eines ANDEREN Menschen?
    Oder andersrum: wir können vielleicht nicht verstehen, warum ein Trauerprozess bei jemand anderen viel schneller abläuft als das bei uns selbst der Fall wäre. Wie schnell neigen wir aber dann zu vorschnellem Urteil über die Beziehung, die vorher zwischen dem Trauernden und dem Menschen, den er verloren hat, bestand?
    Und was für die Zeitspanne gilt, die wir Trauerprozessen „zubilligen“ gilt genauso auch für die Art, wie jemand Trauer ausdrückt und verarbeitet.
    Der/die eine sucht Kontakt und Aussprache, jemand anders das Gegenteil. Auch hier wieder die Frage an das Umfeld: wollen und können wir wirklich auf das eingehen, was der ANDERE braucht? Oder ist es uns der Kontaktsuchende doch sehr schnell „zu stressig“ während der still Trauernde uns zu sehr verunsichert um uns auf seine Art der Trauer einzulassen?
    Und wie oft ist der Aktionismus um „das Organisatorische“ eines Trauerfalls herum nicht zum gut Teil auch eine Methode, sich auf elegante Weise echter Anteilnahme zu entziehen?

    Ein Fall der vor einem Vierteljahr in meinem Umfeld passiert ist hat mich diesbezüglich doch etwas aufgerüttelt. Eine Tante hat im Alter von 90 Jahren ihre 56-jährige Tochter durch eine Krebserkrankung verloren. Die Tante hat noch zwei weitere Kinder, 4 Enkelkinder und drei Urenkel, die alle am gleichen Ort oder in der gleichen Gegend nahebei leben. Außerdem ist die Tante eng in einer Religionsgemeinschaft eingebunden. Ich selbst habe eine gute aber deutlich distanziertere Beziehung zu ihr als alle Vorgenannten, wohne auch deutlich weiter weg.
    Aber als ich sie einmal besuchte und auf ihr Befinden und die Beziehung zu der verlorenen Tochter ansprach, da öffnete sie sich plötzlich, erzählte einige Begebenheiten mit der Tochter die sie sehr bewegten und gestand mir dann, dass es sie zusätzlich schmerzt, dass sie mit NIEMANDEM über ihre Tochter und die Bedeutung ihres Verlusts reden könne!
    Alle würden sich sehr vorbildlich um ihre Versorgung kümmern, sie könne sich wirklich nicht beklagen und hätte eigentlich ein schlechtes Gewissen, das sie so empfinde, aber diese emotionale Distanz, die alle zum eigentlichen Trauerfall einnehmen, die verletze sie zusätzlich.

    Da habe ich mich dann doch begonnen zu fragen: wie emotional bzw. gefühlsmäßig „bequem“ hätten wir’s denn gerne, wenn das Schicksal in unserem persönlichen Umfeld zugeschlagen hat?

    Viele Grüße,
    Taononymus

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