möchte ich zu einem Bahnhof fahren und dort auf jemand warten. Du, der auf diese Erde mit deinem Gepäck ausgestiegen bist, sei willkommen. Wenn du wieder abreist, nachdem du hier all das Bittere und Süße ausgekostet hast, wenn du mit der Erkenntnis abreist, dass Grün und die Liebe nur auf diesem Stern zu finden sind, bist du dann nicht dankbar für ein solches Leben? Das Grün und die Liebe. Sind sie nicht ein kosmisches Wunder?
Chi-Woo Hwang (Südkoreanischer Dichter, geb. 1952)
Klingt wunderschön, der Text des hierzulande wenig bekannten Dichters. Aber sagt er im Sinne taoistischer Lebensart etwas wirklich Brauchbares aus? Es ist nichts Falsches darunter. Die Sätze spiegeln die ganz normale bürgerliche Existenz wieder. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, das Bittere und das Süße wechseln sich auf dem Lebensweg ab oder treten zuweilen gemeinsam auf. Insoweit herrscht Übereinstimmung mit Yin und Yang, dem taoistischen Kontrastprogramm der Gegensätze. Das Grün und die Liebe hingegen sind Poesie, sie sind die Symbole für das Aufgehen in einer Natur, wie sie es nach menschlichem Wissen nur ein Mal im Universum gibt, und der Fähigkeit zu lieben, wie sie aus der Sicht des Dichters nur in uns Menschen wohnt.
Chi-Woo Hwang vereinfacht und dehnt zugleich ins Unendliche aus. Das darf ein Dichter – wenn er von einer brennenden Rose redet, wüssten wir sofort, dass er die Glut der Farbe meint. Gefühle der Liebe sind im Sinne des Tao der Abglanz von etwas, dessen Wurzeln in vor-menschliche Stufen zurückreicht. Etwas, das trotz unserer Überheblichkeit, mit der wir uns für die Krone der Schöpfung ausgeben, auch von anderen Lebewesen gespürt wird. Es ist sehr wohl möglich, dass ein Felsblock, ein Stern, eine Pflanze, ein Tier über ein ähnliches Basisbewusstsein des Stattfindens wie wir Menschen verfügt und ebenso wie wir die Anlagen zum Lieben besitzt. Das kosmische Wunder ist das Zusammenwirken aller Elemente des Seins und die Erkenntnis, dass dies alles unsere permanente Teilnahme braucht, damit es geschieht.
Lieber Theo Fischer, liebe Leser dieses Blogs,
Ich habe heute morgen, nachdem der Schnee weitgehend verschwunden ist, mal in den Garten geschaut. Alles wirkt überwiegende braun und grau und wüst.
Trotzdem werden in ein paar Wochen Blüten in vielen Farben erscheinen, jede einzelne so komplex, dass kein Mensch sie „herstellen“ könnte.
Sie kommen aus dem scheinbaren Nichts, einfach weil ihre Zeit gekommen ist und die erforderlichen Bedingungen vorliegen.
Das ist für mich das „Wunder des Grün“.
Jedes fühlende Wesen, und das sind für mich auch die Pflanzen, trägt das ganze Wunder des Lebens in sich.
Die gewaltige, unbegreifliche Macht, die das alles hervorbringt, wirkt völlig unbeeinflusst vom Raubbau und der Arroganz der Menschen; sie manifestiert das Leben in jedem Augenblick neu ohne Ansehen oder Bewertung.
Das ist für mich das „Wunder der Liebe“.
Mit den Dingen mitgehen und wirken ohne sich eines Handelnden bewusst zu sein oder die Dinge zu bewerten ist für mich der Weg des Tao.
Viele Grüße
und ein schönes Wochenende!
Michael
Wenn ich diese Liebe in mir spüre, wirkt sich das auf meinen Alltag gewaltig aus.
Sie beseelt die einfachsten Tätigkeiten.
Es gibt Menschen die tun viel Gutes und doch erreichen sie keine Menschenseele.
Weil ihnen genau diese besondere Liebe fehlt.
liebe grüße Gitti
Hallo Gitti,
Deine Anworten sind für mich immer eine positive Überraschung!
(Ich hoffe, dass ich Du sagen darf!)
Während ich eher zur beschreibenden Darstellung neige, gehst Du sofort auf die praktische Auswirkung im Leben ein.
Das finde ich sehr aufbauend und erfrischend.
Wie bist Du zu dieser praktischen Erfahrung und positiven Einstellung gekommen?
Liebe Grüße
Michael
Hallo lieber Michael!
Viele Jahre beschäftige ich mich schon mit dem Tao, und bin draufgekommen,nur was ich selbst erfahre-nicht was ich weiß-
macht mich authentisch und ehrlich.
Dann spüre ich diesen Draht zum Unendlichen. Ich glaube die Wege sind unterschiedlich, aber an der Selbsterkenntnis führt kein Weg vorbei.
Übrigens fand ich Deine Beschreibung sehr schön
…mit den Dingen mitzugehen ohne Bewertung….
Ich grüße Dich
Gitti
Hallo Gitti,
danke für Deine Antwort.
Für mich ist die „Berührung“ mit dem Tao immer noch eher das Besondere. Sie ist dann „der Moment der Stille“, wie es Alius in diesem Blog mal genannt hat.
Auswirkungen auf meinen Alltag hat das schon, aber es gibt doch immer wieder Situationen, in denen alte Routinen und Gewohnheiten sich unbewusst durchsetzen.
So wie ich die Bücher von Theo Fischer verstehe geht es darum, diese Dinge einfach bewusst wahrzunehmen und nicht zu beeinflussen.
Das Spüren der Liebe in alltäglichen Situationen ist da schon etwas Besonderes!
Liebe Grüße
Michael
Hallo Ihr,
von seiner tief gefühlten Einsamkeit spannt Chi-Woo Hwang den Bogen zur Wahrnehmung des allumfassenden Werdens und der allumfassenden Liebe.
Im Phasen in denen Alleinsein und Einsamkeit belastend werden, gibt es glaube ich kein besseres Gegengewicht als eine solche Wahrnehmung um seine Balance zu halten.
Viele Grüße,
Taononymus
Hallo – an Sie/Euch Alle,
ein berührender Text, mit dem der Dichter die Wertschätzung für unser Dasein und Leben -in relativ wenigen Worten- wunderbar ausdrückt.
Sehr einfühlsam überlässt er auch die Beantwortung seiner Frage dem/der Leser/-in selbst ……. Auf diese Weise entwickeln seine Worte, wie ich finde, etwas sehr Trostreiches, vor allem für Menschen, die sich einsam fühlen und die „das Grün und die Liebe“ nicht (mehr) immer sehen.
Beste Grüße
JE