Versöhnt man großen Groll, und es bleibt noch Groll übrig,
wie wäre das gut?
Darum hält der Berufene sich an seine Pflicht
und verlangt nichts von anderen.
Darum: Wer LEBEN hat, hält sich an seine Pflicht,
wer kein LEBEN hat, hält sich an sein Recht.
Der große Groll ist in unseren Tagen leider überall auf der Welt in Gestalt von Gewaltbereitschaft zu finden. Wir selbst sind nicht frei davon. Gewiss erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie am liebsten, wie man im Volksmund sagt, mit Eisenbahnschienen dreingeschlagen hätten. Laotse wusste einst auch ohne Studium der Psychologie, dass selbst bei einem Lebensmodell der Gewaltlosigkeit im menschlichen Stammhirn Rudimente urtümlicher Gewaltbereitschaft schlummern. Dass so etwas nicht gut ist, braucht er uns in seinem neunundsiebzigsten Spruch nicht erst mit seiner Frage „wie wäre das gut?“ unter die Nase zu reiben. Ihr Gehirn – und natürlich auch meines – ist das Gehirn der Menschheit, das sich in Jahrmillionen zu seinem heutigen Stand entwickelt hat. Mit seinen Überbleibseln aus der Reptilienvergangenheit scheint es noch immer nicht genügend Zellverbände entwickelt zu haben, die ein friedliches Zusammenleben mit Artgenossen, geschweige denn mit anderen Lebewesen garantieren. Immerhin hat die Vernunft insoweit gesiegt, dass es inzwischen weltweite Abkommen gegen den Missbrauch von Massenvernichtungswaffen gibt, so dass unser Planet wohl noch eine längere Zeitspanne unter seinen Bewohnern wie unter Parasitenbefall zu leiden haben wird. Nichtsdestoweniger, und allen Heils- und Friedensbotschaften zum Trotz, bleibt nach der Versöhnung leider noch eine gewaltige Restmenge des großen Grolls übrig. Menschen hassen sich, und dies primär ihrer unterschiedlichen Überzeugungen wegen. Dass die Güter dieser Welt ungerecht verteilt sind, ist kein Geheimnis. Die Massen leiden unter der Raffgier und den Monopolen der Reichen. Aber dort, wo man sich zur Wehr setzt, sind nicht etwa diese Monopolisten die Opfer – es sind nur ähnlich Arme, die zu ihrem Pech eben eine andere Weltanschauung haben als die verzweifelten Aggressoren. Laotse hat die einstigen Zustände beinahe höflich kritisiert, aber man spürt beim Hineinfühlen doch die Resignation heraus, mit der die Zeilen verfasst worden sind. Weiterlesen













