Das Tao ist ewig ohne Machen, und nichts bleibt ungemacht.
Wenn Fürsten und Könige es zu wahren verstehen,
werden alle Dinge sich von selber gestalten.
Gestalten sie sich und es erheben sich die Begierden,
so würde ich sie durch namenlose Einfalt bannen.
Namenlose Einfalt bewirkt Wunschlosigkeit.
Wunschlosigkeit macht still, und die Welt wird von selber recht.
Laotses 37. Spruch enthält den berühmten Satz vom unbewegten Tao, das dennoch nichts ungetan lässt. Die Verben „machen“ und „ungemacht“ sind sprachlich nicht schön, aber so hat es der Übersetzer eben gewollt, beziehungsweise aus den chinesischen Schriftzeichen herausgelesen. Ich ziehe in unserer modernen Sprache die Formulierung „und dennoch bleibt nichts unerledigt“ vor, aber wie man es auch ausdrückt, die Inhalte des Tao te king müssen von innen heraus verstanden werden und die Sprache ist letztlich die kleinere Hürde, die bei der Beschäftigung mit dem Taoismus zu nehmen ist. Lin Yutang kommentiert die englische Übersetzung des Spruches auch nicht gerade allgemeinverständlich: Der Spruch behandelt die These, dass Ruhe und Untätigkeit den Zustand der unverdorbenen Natur, der Quelle der Macht darstellen. Gleichzeitig ist uns aber auch klar, dass eine völlige Abkehr von aller Tätigkeit unmöglich ist, da wir ja in der Menschenwelt leben. Man gelangt somit zu der sich daraus ergebenden Haltung einer milden Passivität, einer nachsichtigen Gelassenheit als der weisesten Lebensform. In dem Spruch findet sich die vielleicht vollständige Schilderung der Lehre von der Untätigkeit, die sich auf die Nachfolge der Natur und des schweigenden Wirkens des Alls gründet und gelassene Passivität sowie eine milde, gereifte Haltung als die Einstellung des Weisen zum Leben empfiehlt.
Vom Standpunkt der Quantenphysik ließe sich das Wirken des Tao in die Kategorie „Selbstorganisation“ einordnen. Das Tao wäre das „Feld“ der Physiker, dessen unerschöpfliche Energie die Teilchen zum Tanzen bringt. Könnte man Laotse im Jahr 2009 mit der neuzeitlichen Physik samt der Kopenhagener Deutung bekannt machen, möchte ich wetten, dass er gegen diese Auslegung Einwände vorzubringen hätte. Er würde geltend machen, die Wissenschaft könne nur Wirkungen analysieren und beschreiben, aber dennoch die Ursache nicht kennen. Bereits „Feld“ oder wie immer man die Quelle aller Lebensenergie taufen wolle, sei letztlich nur das Synonym für „Unbekannt“, eine Behelfsbrücke, welche die Kluft zwischen dem Analysierten und seiner nicht beschreibbaren Quelle überbrücken solle. Dafür wäre Laotse freilich fähig, den Forschern ein anderes Phänomen zu erklären, das seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1927 das Rätsel um die Funktion des menschlichen Bewusstseins so unlösbar erscheinen lässt: die Tatsache nämlich, dass subatomare Prozesse anscheinend nur dann geschehen, wenn sie jemand beobachtet. Dass ohne den Beobachter absolut nichts stattzufinden scheint. Und dass der lineare Verlauf der Zeit auf dieser kleinsten materiellen Ebene offenbar ebenfalls außer Kraft gesetzt ist. Der Verfasser der 81 Sprüche des Tao te king würde lächelnd die uralte Frage, ob zuerst das Huhn oder das Ei da war, als Beispiel wählen. Laotses weise Züge würden zum Grinsen werden, wenn er sagte: Ohne eure Beobachtung gibt es weder Ei noch Huhn. Und das Huhn war ebenso zuerst da wie das Ei. Denn das Huhn legt das Ei, aus dem es Wochen später selber schlüpft. Weiterlesen